Roll-over Kulturstadt

■ Für RollstuhlfahrerInnen wird die Kulturhauptstadt Europas zum Provinznest / Kino und Theater im Rollstuhl

Es ist Wochenende. Die Sonne scheint, das Leben pulsiert in den Straßen. Auch wir wollen uns im Herzen der City vergnügen. Mal sehen, was im Kino so läuft, oder im Theater, ein kleiner Bummel durch die Geschäfte und hier und da mal in einem netten Lokal eine kurze Erfrischung. Doch statt Vergnügen erfahren wir eher Mißachtung und Diskriminierung. Das Teilhaben am kulturellen Leben wird uns versagt, denn meine Begleiterinnen sitzen im Rollstuhl.

Wir starten am Wittenbergplatz. Ich schiebe Bärbel Reichelt in ihrem neuen Klaprollstuhl, der zwar klein und wendig ist, aber immer eine Begleitperson erfordert. Beate Ender lotst uns mit ihrem praktischen Elektrorollstuhl, der sie nahezu unabhängig macht, durch die Innenstadt. Wir müssen des öfteren Umwege machen, denn nicht überall sind die Bürgersteige so abgeflacht, daß man die Straßen mühelos überqueren könnte. „Ab 10cm Höhe hört für mich die Welt auf“, erklärt Beate Ender. Mit ihrem elektrischen Untersatz kann sie größere Hürden nicht überwinden.

Wir rollen über den Ku'damm, vorbei an Menschenmassen. Touristen betrachten uns entweder mit mitleidsvollen Blicken oder übersehen uns, schubsen, drängeln, stolpern fast den beiden sitzenden Frauen auf den Schoß. „Das sind wir schon gewohnt, da darf man sich nicht unterkriegen lassen“, sagen die beiden und lachend wollen jetzt ins Kino.

Im frisch renovierten Gloriapalast kommt ein Aufseher im grauen Anzug auf uns zugestürmt und spricht mich an: „Sie können hier nicht rein mit ihren Patienten. Es tut mir schrecklich leid, aber die Bauaufsicht hat es verboten.“ Er schaut mir in die Augen und auf meine Begleiterinnen mitleidig herab. Bärbel Reichelt ist verärgert: „Was soll das heißen, ich war hier doch schon mal im Kino!“ Der Mann merkt auf, die Behinderte kann ja sprechen, er muß sie für voll nehmen, und erklärt peinlich berührt die Sachlage. Einer der beiden Kinosäle sei ja eigentlich für RollstuhlfahrerInnen zugänglich, und bislang habe man auch immer ein paar hereingelassen, aber aus sicherheitstechnischen Gründen, die er persönlich ja auch für unsinnig halte, dürfe man das eben nicht mehr. Näheres müßten wir den Geschäftsführer fragen: „Also los, gib Gas Beate“, sagt Bärbel Reichelt zu ihrer Freundin, und wir brausen zum Zoopalast. Dort kommen wir zwar ungehindert in die Eingangshalle und, mittels Fahrstuhl, auch in zwei Kinosäle, aber, so erklärt der ebenfalls verärgerte Geschäftsführer, jetzt hätte die Bauaufsicht eben Anweisungen gegeben. „Na, da müssen wir den Behörden mal wieder auf die Pelle rücken, eine Aktion machen oder irgendeine Blockade“, beschließen die beiden Frauen, denn nur mit legalen Mitteln erreiche man schließlich nichts. Beschwerdebriefe haben sie in den vergangenen Jahren schon unzählige geschrieben, doch die Antworten, wenn überhaupt welche kamen, waren eher verständnislos, unverschämt oder deprimierend.

Geradezu diskriminierend ist die nächste Situation. Auf dem Weg zum nächsten Kino braucht Beate Ender dringend ein Klo. Wir müssen zum Europacenter, weil sich dort eine der beiden öffentlichen Behindertentoiletten, die es überhaupt in der City gibt, befindet, und das auch noch im Keller. Wir benutzen den Fahrstuhl und landen in einem dunklen Abstellraum mit schmutzigem Neonlicht und dreckigen Wänden. Wir suchen den Druckknopf, durch den sich, immerhin automatisch, eine schwere Eisentür kurzzeitig öffnet. Noch ein abgewetzter Raum, noch eine Eisentür, und dann, fast geblendet, sind wir in der unteren glitzernden Fußgängerpassage des Europacenters. Nun brauchen wir nur noch den Schlüssel zum Klo, und der befindet sich wiederum in einem Cafe, zu erreichen über eine steile Rampe.

Nach dieser Tortur brauchen wir erst mal eine Erfrischung, doch auch bei dieser Suche begegnen uns etliche Hürden. Die meisten Lokale am Ku'damm haben mindestens eine Stufe, Gründe dafür sind nicht erkennbar. Zum Glück ist es Sommer, und wir können draußen an einem Tisch sitzen. Meine beiden Begleiterinnen sind jetzt fest entschlossen, alle Kinos abzuklappern. Doch wo wir auch hinfahren, den Ku'damm hoch und runter, bei den meisten Filmpalästen versperren uns Stufen oder Verordnungen den Weg.

Frustriert machen wir uns auf den Heimweg. „Ins Theater kann man sowieso nicht spontan, da muß man meist die Karten vorbestellen oder Begleitpersonen mitbringen, wenn man überhaupt reinkommt“, winken die beiden Frauen ab. „Na, was wollen wir denn auch mit Kultur, wir sind doch sowieso behindert, da hat man keine Ansprüche zu haben.

Doch ihren Mund werden sich die aktiven Rollis nicht stopfen lassen. „Wir werden weitermachen mit Aktionen und noch so einigen Leuten über die Füße rollen.“