Harry Mulisch im Gespräch

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(„Autoren als Zeitzeugen“, Sonnabend, Nordkette, 20.15 Uhr Harry Mulisch ist neben John Berger und Pasolini einer der wenigen modernen Europäer, von denen wir genaues Hinsehen lernen konnten, obwohl sie keine Maler sind. Als Reporter hatte ihn 1960 seine Zeitung nach Israel geschickt, um über den Eichmann-Prozeß zu berichten. Er benutzte diesen Auftrag, reiste auch nach Ausschwitz und Berlin und beschrieb diese Ortschaften auf selten eindringliche Weise. Seinem daraus entstandenen ersten Buch (Strafsache 08/61) stellte er ein Portrait voran, daß mich nie mehr losließ: der zweigeteilte Eichmann. Er hatte das bekannte SS -Paßfoto des Schreibtischmörders in der Mitte gespiegelt und erhielt so zwei Gesichter: das helle, klare des Musikliebhabers und fleißigen Beamten, der pfiffig seine Pflicht tut und alle Schuldgefühle verdrängt, und den dunklen, zerfurchten, kleinen Kopf eines Menschen, der durch die Hölle gegangen war und alles gemerkt hat: der Zeuge. Seitdem bin ich der festen Überzeugung, daß Menschen ihre Verbrechen im Gesicht tragen.

Harry Mulisch ist einer dieser ganz selbstverständlich antifaschistischen Europäer, wie sie es bei uns fast gar nicht gibt. Die Geschichte seiner eigenen holländischen Familie und ihrer Verstrickung in die deutsche Besetzung schildert er in seinem bisher letzten Roman Das Attentat, in dem er sich erneut mit der Problematik von Tat und Zeugenschaft auseinandersetzt. Wie er selbst mit diesen Rollen umgeht, wird am Samstagabend in dem langen Gespräch „Autoren als Zeitzeugen“ hoffentlich zu sehen sein.

Dr. Seltsam