Plädoyer für „Konkursrecht“

■ Bislang keine internationale Konkursordnung / Willkürlicher Umgang mit zahlungsunfähigen Staaten erzeugt politische Spannungen

Teil 22: Von Manfred Nitsch / Adonis Malagardis

Die 80er Jahre dürften als das „Jahrzehnt der Umschuldungen“ in die Geschichte der internationalen Wirtschaftsbeziehungen eingehen: Den Auftakt macht Polen 1979; im Jahre 1982 markiert dann die Jahrestagung von Internationalem Währungsfonds (IWF) und Weltbank in Toronto die hektischen Tage der ersten Mexiko-Krise, und seither schieben Gläubiger wie Schuldner eine riesige Last von Schulden in unbezahlbar gewordenen Dimensionen vor sich her. „Von Fall zu Fall“, wie die verlegene Formel lautet, werden Kredite prolongiert und umgeschuldet, teilweise oder ganz erlassen, umgewandelt, mit Abschlag ge- und verkauft oder mit „fresh money“ gemischt. Jeder möchte Zeit gewinnen und meint, daß schließlich nichts so heiß gegessen wie gekocht wird.

Die „heiße Kartoffel“, die da herumgereicht wird, kühlt jedoch nicht von selbst ab, sondern heizt sich - nach der Zinseszinsformel - weiter auf: Auch die mit Abschlag auf den Sekundärmärkten als Kredite oder Eigenkapitalanteile gehandelten Schuldtitel werden ja zumindest für den Schuldner nicht entsprechend im Wert reduziert, so daß er weiter mit der Präsentation zum vollen Wert mit Zins und Zinseszins rechnen muß. Und für jeden einzelnen Gläubiger besteht die Versuchung, die vollen Ansprüche gegen den Schuldner geltend zu machen, auch wenn die Gläubiger sich mehrheitlich informell mit dem Schuldner auf einen gewissen Abschlag, also eine Art „Konkursquote“, geeinigt haben.

Es gibt kein „Palais de Justice“, also keinen „Palast der Gerechtigkeit“, bzw. auf deutsch profaner: kein „Amtsgericht“, an das sich Schuldner wie Gläubiger im Falle eines notwendig gewordenen Konkurses oder Vergleichs wenden könnten. Der „Pariser Club“, die „Lenkungs-“ und „Beratungsausschüsse“ oder „Konsortien“ der Banken in New York, die Verhandlungsrunden beim IWF oder bei der Weltbank kommen zwar der Gläubigerversammlung der Konkursordnung nahe - aber es fehlen noch wesentliche Elemente eines geordneten Verfahrens. Als das gegenwärtige institutionelle Regime der internationalen Währungs- und Finanzbeziehung in Bretton Woods 1944 aus der Taufe gehoben wurde, machten man sich Gedanken um das „Fundament“ und den „Fußboden“ für ein neues Weltwirtschaftssystem; über das „Dach“ für das Gebäude des internationalen Kreditsystem beginnt man erst seit kurzem nachzudenken, nachdem es besonders in den '70er Jahren problemlos in den Himmel zu wachsen schien.

Lehren aus der Geschichte

Wenn Erfahrungen aus der Behandlung von souveränen Schuldnern in der Vergangenheit zu gewinnen sind, dann bieten das 19. und die erste Hälfte des 20.Jahrhunderts ausreichend Stoff: Bei Zahlungsunfähigkeit oder Zahlungsverweigerung von Staaten hat es nicht selten eine „Lösung“ militärisch-politischer Art gegeben - etwa die bewaffnete Intervention in Mexiko 1861, die Venezuela -Blockade 1902-1903, das Einmarschieren amerikanischer Truppen in die Dominikanische Republik 1905 und 1916 sowie in Nicaragua 1912. Häufiger noch wurden Schuldnerstaaten einer Zwangsverwaltung (Ägypten 1881), einem Protektoratsstatus (Tunesien 1869, Marokko 1902) oder einer internationalen Finanzkontrolle (Österreich 1922, Ungarn und Griechenland 1924) unterworfen. Es handelte sich hier um ökonomisch-politische Maßnahmen, die mit den Regelungen bei dem Konkurs oder Vergleich einer zahlungsunfähigen Person oder eines bankrotten Unternehmens weitreichende Ähnlichkeiten aufweisen, obwohl kein Einverständnis des Schuldnerstaates, sich einer hoheitlichen Regelung oder einer freiwilligen Schiedsgerichtsbarkeit zu unterwerfen, vorlag.

In einer Reihe von Fällen, etwa in Marokko, in der Dominikanischen Republik und in Honduras, wurden „Pfändungsagenturen“ durch die USA eingerichtet, wovon bestimmte Einnahmequellen des Schuldners betroffen waren. Die „Bevorrechtigung“ von Forderungen - ebenso ein Instrument des innerstaatlichen Insolvenzrechts - wurde ebenfalls zuweilen vorgesehen, etwa als ein Jahr nach der Aufhebung der Venezuela-Blockade der Schiedsgerichtshof in Den Haag die Forderungen der daran beteiligten Mächte bestätigte, während die Forderungen anderer Gläubigerländer offen blieben. Auch die nach dem Ersten Weltkrieg vom Völkerbund mit dem Ziel des ökonomischen Wiederaufbaus von Staaten vergebenen Kredite waren gegenüber anderen Verbindlichkeiten bevorrechtigt. Sogar die Kosten, die aufgrund von Zwangsverwaltungen und der Gründung von „Pfändungsagenturen“ entstanden waren, wurden als bevorrechtigt angesehen - ähnlich wie die Konkursverwaltungskosten in der Konkursordnung. Oft ist es auch zu Umschuldungen gekommen, allerdings erst nach der offiziellen Erklärung der Zahlungsunfähigkeit des Schuldners. Und nicht selten wurde versucht, wenn auch nicht ohne Widerstand der Gläubiger, die Zahlungsverpflichtungen eines Staates mit seiner Zahlungsfähigkeit („capacity to pay“) in Einklang zu bringen. Von großer Bedeutung war auch nach dem Ersten Weltkrieg die Ablösung der„alten“ Gläubiger in England und Frankreich durch die „neuen“ Kreditgeber in den USA, deren großzügige Kreditvergabe in den '20er Jahren, ohne sonderliche Berücksichtigung der Altschulden, mit zur Schwere und Tiefe der Weltwirtschaftskrise nach 1929 mit ihrer Welle von „Staatsbankrotten“ beigetragen hat.

Zu welchem politischen Krisenszenario der willkürliche Umgang mit zahlungsunfähigen Staaten führen konnte, zeigte besonders deutlich die deutsche Schuldenkrise von 1931: Die Regierung Brüning betrieb ihre Deflationspolitik nicht zuletzt aus dem Grunde, weil sie den Gläubigern des Deutschen Reiches die Uneinbringlichkeit ihrer Forderungen vor Augen führen und sie an den Verhandlungstisch bringen wollte. Als sich diese jedoch endlich in der Schuldenkonferenz von Lausanne 1932 auf eine erhebliche Reduzierung der Reparationsschulden einließen, war Brüning bereits seit zwei Monaten gestürzt und die Weimarer Republik auf dem Weg in die Nazi-Herrschaft. Erst nach dem Zweiten Weltkrieg wurden Deutschland gegenüber im Londoner Schuldenabkommen von 1951/53 die Konsequenzen aus einer allgemein als katastrophal verfehlten Schuldenpolitik nach Versailles gezogen. Aber wieder waren es nicht allein die Schuldenfrage und die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit, die das Geschehen bestimmten, sondern - im Zeitalter des „Kalten Krieges“ - auch und vor allem politisch-strategische Überlegungen.

Anläßlich der ersten Jahrestagung von IWF und Weltbank auf deutschem Boden ist es im übrigen nicht nur geraten, anhand der jüngsten deutschen Geschichte auf die durch uneinbringliche internationale Schulden hervorgerufenen außenpolitischen und innenpolitischen Spannungen hinzuweisen, sondern auch die Tatsache in Erinnerung zu rufen, daß die heute weithin als unbezahlbar angesehenen Reparationsschuldendienste der Weimarer Republik niemals mehr als zehn bis 15 Prozent der Exporterlöse ausmachten, also weit unter den derzeitigen Belastungen der hochverschuldeten Entwicklungsländer lagen. Aus den Zeiten des internationalen „Faustrechts“ bei der Handhabung des Verschuldungsproblems lassen sich folgende Lehren ziehen: Seitens der Schuldnerländer war nicht mit erfolgversprechenden Verstößen in Richtung auf ein geordnetes, dem innerstaatlichen Konkurs- und Vergleichsrecht nahekommendes Verfahren zu rechnen, weil einerseits die innerstaatlichen Insolvenzregelungen damals noch sehr viel stärker als heute auf Abschreckung und Vermögenszerschlagung abgestellt waren und insofern kein Vorbild lieferten, und weil andererseits die Zahlungsunfähigkeit oder -unwilligkeit nur in solch extremen Situationen erklärt wurde, daß keine völkerrechtlich normsetzende Kraft solcher Akte zu erwarten war, sondern gerade im Gegenteil Feindseligkeit signalisiert wurde.

Von seiten der Gläubigerregierungen wurden Vorstöße aus der Wissenschaft und Publizistik, etwa im Falle Ägyptens 1876 und Mexikos 1928, ähnlich wie bei innerstaatlichen Insolvenzfällen zu verfahren, immer wieder zurückgewiesen, weil sie im konkreten Einzelfall inopportun waren, nahm man doch solche Gelegenheiten ggfs. lieber dazu wahr, Protektorate zu erwerben, Blockaden zu verhängen oder Kriege zu führen - oder man ließ auf der anderen Seite die privaten Anleihebesitzer allein. Diese wiederum waren ohne staatliche Flankierung zu schwach für die Durchsetzung institutioneller Regelungen und konnten dem Schuldner allenfalls den zugang zu „ihrem“ Kapitalmarkt verwehren, wie das bis vor kurzem beispielsweise gegenüber der Sowjetunion auf dem Bank- und Finanzplatz London praktiziert worden ist.

Plädoyer für ein allgemeines

Insolvenzrecht

Der Kern des Insolvenzrechts besteht aus einem geordneten Verfahren, das unter Wahrung der unveräußerlichen Rechte des Schuldners zu einer gleichmäßigen Befriedigung aller Gläubiger führt. Das Verfahren muß den Anreiz für den Schuldner, sich mutwillig hoch zu verschulden, um sich dann legal den Verbindlichkeiten zu entziehen („moral hazard“), ebenso vermeiden, wie es das „Trittbrettfahrer-“ („free rider„-)Problem lösen muß, das darin besteht, daß einzelne Gläubiger sich durch das Hineinvollstrecken in das Vermögen des Schuldners auch noch im Überschuldungsfall oder nach Abschluß des Verfahrens voll befriedigen können, während die anderen Gläubiger Verluste tragen müssen. Da eine gleichmäßige Gläubigerbefriedigung nicht über den Markt mit seiner Vielzahl von konkurrierenden Akteuren gesichert werden kann, ist die Unterwerfung von Schuldnern wie Gläubigern unter eine institutionelle Regelung nötig. Stets geht es um einen Teilerlaß von Forderungen bzw. um die unfreiwillige Stundung, so daß jeder einzelne Gläubiger sich einem solchen Regime nur unterwerfen wird, wenn er sicher sein kann, daß dies auch die anderen tun. Dies ist durch hoheitlichen Akt oder auch durch ein Schiedsgericht und schließlich durch ein „Gentlemen Agreement“ unter wiederkehrenden Bedingungen erreichbar. Jeder Kreditmarkt lebt von stabilen Erwartungen über die insolvenzrechtlichen Regelungen im Fall der Nichterfüllung von Kreditverträgen; deshalb läßt sich auch aus dem Verhalten der Vertragsparteien bis zu einem gewissen Grade das implizit unterstellte Insolvenzrecht ablesen. Wenn Banken beispielsweise Abschreibungen auf dubiose Forderungen vornehmen, dann gehen sie davon aus, daß uneinbringliche Verluste zu erwarten sind, und wenn Gläubiger wie Schuldner sich bei zunehmendem Verschuldungsgrad auf steigende Risikozuschläge einigen, dann zeigt sich darin ebenfalls ein Verlustrisiko.

De-facto-Regelungen

für Staaten

Insolvenzrechtliche Elemente, sowohl prozeduraler als auch materieller Art, sind bereits seit der Polenkrise im Umgang mit souveränen Schuldnern zu erkennen, ohne jedoch in einem Rechtssystem festgeschrieben zu sein. So kommen die Umschuldungen im Pariser Club und in den sogenannten „Lenkungsausschüssen“ (steering committees“) oder „Beratungsausschüssen“ („advisory committees“) der Geschäftsbanken einem „Vergleich“ nahe, bei dem eine Stundung von Schulden vorgenommen wird. Ebenso ähnelt das typische, aus dem Arsenal des IWF stammende „Anpassungsprogramm“ dem im Rahmen eines Vergleichsverfahrens entwickelten Plan zur Sanierung eines Unternehmens. Es fehlt allerdings eines der wichtigsten Bestandteile eines Vergleichs, nämlich der verbindliche Teilerlaß, wie er bei einem Verfahren gegenüber Privatleuten und Unternehmen üblich ist. Auch auf den internationalen Finanzmärkten ist ein quasi-insolvenzrechtliches Verhalten sichtbar, etwa bei der Durchführung von Debt-equity-Swaps, wonach Forderungen gegenüber den Schuldnerländern mit einem Abschlag auf den Sekundärmärkten verkauft und in Beteiligungen an Unternehmen in Entwicklungsländern in nationaler Währung umgewandelt werden. Es läßt sich hier eine Parallele zwischen einem „Abschlag“ und einer „Konkursquote“ ziehen.

Die Notwendigkeit einer

politischen Initiative

Was heute fehlt, ist die Initiative zur Etablierung eines internationalen Regulierungsmechanismus, im Sinne der Übertragung allgemein anerkannter innerstaatlicher Regelungen des Insolvenzrechts auf die zwischenstaatliche Ebene, der kleine Zugeständnisse von allen Beteiligten erfordert, aber allen - wenn auch in unterschiedlichem Grade - großen Nutzen bzw. das Nichtentstehen großer Kosten verspricht.

Die Unterwerfung unter ein (insolvenzrechtliches) Gesetz ist für Schuldner und Gläubiger auf nationaler Ebene vorteilhafter als die vertragliche Vereinbarung von Formen zulässigen Zwangs, so daß auf den ersten Blick auch für die Akteure auf der internationalen Ebene in erster Linie eine hoheitliche Regelung in Frage käme. Im internationalen Wirtschaftsleben haben sich aber bei vergleichbaren Problemen die freiwilligen Schiedsgerichtbarkeiten (etwa bei der Internationalen Handelskammer in Paris und bei der Weltbank) bewährt, denen sich die Vertragspartner, einer sich nach und nach allgemein durchsetzenden Usance folgend, bei Vertragsabschluß unterwerfen. Es könnte sich also insgesamt um ein allmähliches Fortschreiten hin zu völkerrechtlichen Regelungen handeln.

Die internationalen Beziehungen der Nachkriegszeit wurden nach dem Prinzip der Nichtintervention geregelt, das zwar gegenüber dem Faustrecht der Vergangenheit ein großer Fortschritt war, das aber eine weiterreichende Regelung der internationalen Finanzbeziehungen außer acht ließ. Deshalb wäre ein rechtlich verankertes System von Insolvenzregelungen für souveräne Schuldner auch als Schritt vom „Völkerrecht der Koexistenz“ hin zum „Völkerrecht der Kooperation“ anzustreben. Auch Teillösungen auf verschiedenen Ebenen sind denkbar; es muß nicht gleich der große Wurf und die umfassende „Lösung“ sein.

Die Initiative, einen diesbezüglichen Prozeß in Gang zu setzen, könnte und sollte von der Wissenschaft und anderen Institutionen ergriffen werden.