Harter Arbeitskampf im Behinderten-Zentrum

Der erste ÖTV-Streik im Gesundheitswesen im Rehabilitationszentrum für geistig behinderte Erwachsene in Bad Honnef dauert heute schon genau 60 Tage an  ■  Von Peter Schallenberg

Bad Honnef (taz) - Bad Honnef, die kleine ehemalige Kurstadt südlich von Bonn, drängt sich zwischen Siebengebirge und Rheintal. Seit heute genau 60 Tagen wird die Idylle durch einen Arbeitskampf gestört. Die MitarbeiterInnen des Rehabilitationszentrums für geistig behinderte Erwachsene in Bad Honnef führen den längsten Kampf, den die ÖTV je in der BRD geführt hat, zugleich auch den ersten Streik im Gesundheitswesen.

Mehr als anderthalb Jahre lang hatte sich die Gewerkschaft ÖTV bemüht, mit dem Arbeitgeber des Rehabilitationszentrums, der Cornelius-Helferich-Stiftung, einen Tarifvertrag abzuschließen. Es geht dabei nicht um höheren Lohn, sondern um bessere Arbeitsbedingungen und abgesicherte Vereinbarungen nach dem Bundes-Angestellten-Tarif (BAT). Bisher haben die Mitarbeiter nur Einzelverträge, die vom Arbeitgeber einseitig ungünstig verändert werden können. Auch erhalten sie nicht den im öffentlichen Dienst üblichen Zusatzurlaub für Wechsel- und Nachtschicht. Die Beschäftigten bleiben zudem von den Tarifabschlüssen zur Arbeitszeitverkürzung ausgeschlossen.

Nach einer Urabstimmung der Beschäftigten mit klarem Ergebnis begann am 14.Juni der Arbeitskampf. Die Mitarbeiter versammelten sich mit Plakaten, Fahnen und Transparenten vor dem Tor des Reha-Zentrums. Betriebsratsmitglied Martin Laubach zeigte Entschlossenheit: „Wir haben nun endlich die Schnauze voll, wir befinden uns im Streik!“ Obwohl dies die Aufgabe der Leitung des Hauses oder der Stiftung wäre, hat der Betriebsrat die Organisation des Notdienstes übernommen, denn die geistig Behinderten sollen unter den Streikmaßnahmen nicht leiden.

Verwaltung, Küche, hauswirtschaftlicher Bereich und die Arbeitstherapien werden bestreikt, aber die Betreuung der Behinderten läuft weiter. In den letzten Wochen wird häufig ein Programm außerhalb des Hauses von den Streikenden organisiert, um die Kollegen des Notdienstes zu entlasten. So werden Ausflüge organisiert, Musikbands eingeladen, ein Fotowettbewerb durchgeführt. Dieser Aufwand wird nicht etwa von der Stiftung, die für das Wohl der ihr Anvertrauten verantwortlich ist, sondern von der Gewerkschaft finanziert.

Der weitaus größte Teil des Alltages der Bewohner vor dem Streik wurde von Therapien im weiteren Sinn eingenommen, je nach Gesundheitszustand Einzel-, Beschäftigungs- oder Arbeitstherapie (AT). Es gab verschiedene ATs: Waldarbeiten, Schreinerei, Weberei und AT-Gruppen im Verpackungs- und Montagebereich, entsprechend „einfachster“ Fließbandarbeit. Therapie aber wird in den Produktionsbereichen völlig vernachlässigt. So wurde bis zum Streik der Auftrag der ortsansässigen Firma Penaten ausgeführt: 50.000 Stück Werbesets für Schwangere wurden im Monat zusammengestellt, immerhin 2.500 pro Tag. 26 Behinderte bewältigten dies Monat für Monat für ein kleines Taschengeld von, je nach Leistungsbeurteilung, maximal 80 Mark.

Diesen Auftrag, seit fast einem Jahr durchgeführt, empfanden Patienten und Betreuer als enorme Belastung. „Der Auftrag ist für uns einfach 'ne Nummer zu groß“, sagen AT -MitarbeiterInnen, „aber er bringt viel Geld für die Einrichtung.“ Die BetreuerInnen arbeiten oft nicht mehr pädagogisch-therapeutisch, sondern sind mit Organisation, Nachschub und Endkontrolle beschäftigt. Emotionale Zuwendung, intensivere Aufmerksamkeit und die Klärung von Problemen der Behinderten bleiben so häufig auf der Strecke. Wen wundert's, daß die Beschäftigten unzufrieden mit diesen Bedingungen ihrer Arbeit sind: „Ich hätte ja gleich in die Fabrik ans Band gehen können“, wird da gesagt, „da hätte ich wohl nur noch mehr verdient.“ Denn um das Soll zu erfüllen, arbeiten die BetreuerInnen praktisch mit.

Der Leiter des Hauses erkennt keine Überforderungen, er sieht die Arbeit insgesamt als therapeutisch an: Sozialverhalten werde eingeübt, wie „einfach still sitzen bleiben“, oder Konzentration und manuelle Fähigkeiten. Ziel sei es, „den Behinderten eine Arbeitshaltung beizubringen“. 41 Wochenstunden, einschließlich Essenspausen, wurden für diese „Therapie“ benötigt; in den Behindertenwerkstätten sind dagegen für ähnliche Arbeit im Schnitt 35 Stunden üblich.

Ein Ende des Streiks ist auch heute, nach fast neun Wochen, nicht in Sicht. Statt zu verhandeln, versuchte die Stiftung zunächst, juristisch gegen den Arbeitskampf vorzugehen. Beim Arbeitsgericht wurde eine Einstweilige Verfügung beantragt mit der Begründung, durch den Streik sei die Gesundheit der Patienten gefährdet. Das Gericht widersprach dem Antrag, da durch die Notdienstvereinbarungen die notwendige Mindestversorgung sichergestellt sei. Ein Gewerkschafter wertete den Ausgang des Verfahrens als „schallende Ohrfeige für die Stiftung“.

Zur Zeit weilt der Heimleiter zum Urlaub in Kanada. Sein Stellvertreter versuchte vor einigen Tagen mit Drohungen und finanziellen Versprechungen, jedoch mit wenig Erfolg, einzelne Streikbrecher zu finden. Einen weiteren Versuch, den Streik durch Schlichtung am 4.August zu beenden, brach der Vertreter der Stiftung kurzfristig ab, als eine prägnante Äußerung von Karl-Heinz Rauch'ÖTV -Kreisgeschäftsführer, in der örtlichen Presse erschien: „Es ist ein Unding, daß Kapitalisten auf dem Rücken der Ärmsten der Gesellschaft ihren Reibach machen!“ Seitdem beharrt die Stiftung auf Rücknahme dieser Aussage.