Zweiter Kälbermäster aufgeflogen

Alle hormongespritzten Kalbsmastbestände eines weiteren Großmästers beschlagnahmt / Hormonkälber wahrscheinlich auch in anderen Bundesländern / 500 entführte Hormonkälber noch immergesucht  ■  Aus Bochum Anne Weber

Bochum (taz) - In Nordrhein-Westfalen ist gestern nachmittag ein zweiter großer Hormonskandal im Zusammenhang mit der Kälbermast aufgeflogen, dessen Spuren auch in andere Bundesländer weisen. NRW-Umweltminister Matthiesen ordnete am Freitag nachmittag die Sicherstellung aller Lohn- und Eigenmastbestände eines weiteren Großmästers an. Er unterhält auch in anderen Bundesländern Mastställe. Im Rahmen einer „normalen Überwachung“ habe man festgestellt, daß den Kälbern verbotene Hormone und muskelbildende Präparate gespritzt worden waren. Der Viehbestand des jetzt beschuldigten zweiten Großmästers ist möglicherweise noch größer als der des inzwischen festgenommenen Felix Hying, der sich auf rund 14.000 Kälber belief.

Nach seiner Festnahme am Dienstag nachmittag ist es dem Kälbermäster Hying aus Südlohn Oeding offenbar noch gelungen, rund 600 seiner hormongespritzten Kälber aus zwei Stallungen im Kreis Borken und Steinfurt zu schmuggeln. 42 der Tiere wurden von Veterinären im Kreis Vechta, 61 in einem Schlachthof in Hamm gefunden. Etwa 500 Kälber werden noch gesucht. Auf Antrag der Staatsanwaltschaft Münster wurde am Donnerstag Haftbefehl auch gegen den Futtermeister Hyings erlassen, der den Schmuggel organisiert haben soll. Er wird verdächtigt, die amtliche Kennzeichnung, Siegelmarken in den Ohren der beschlagnahmten Tiere, entfernt und LKW-Fahrer über die Transportware getäuscht zu haben. Ein Teil der 500 Kälber ist möglicherweise in Niedersachsen in den Handel gelangt. Käufer wollen LKWs mit entsprechenden KFZ-Kennzeichen beobachtet haben.

Gestern nachmittag entdeckte die Staatsanwaltschaft Münster 630 weitere wahrscheinlich hormonverseuchte Kälber aus dem Besitz des Lohnmastunternehmers Felix Hying. Die Staatsanwaltschaft stieß bei ihrer Ermittlung auf einen bisher unbekannten von Hying angemieteten Stall in seinem Heimatort Südloohn.

Oberstaatsanwalt Klaus Deupmann erklärte gestern gegenüber der taz, daß man sich seiner Meinung nach ein „falsches Bild“ mache, wenn man annehme, in den Hormonskandal seien viele Personen verwickelt. Deupmann: „Das ist mit ganz wenig Leuten zu schaffen. Einmaliges Spritzen eines jeden Tieres reicht völlig aus und geht auch blitzschnell. Das kann jeder Laie.“ Daher, so Deupmann, stünden zum Beispiel die kleinen Lohnmastbetriebe und Tierärzte nicht unbedingt in Verdacht, an Hyings Machenschaften beteiligt gewesen zu sein. Aus Sicherheitsgründen werden dennoch zur Zeit 41 Ställe von 82 Polizeibeamten rund um die Uhr bewacht.

Neben den noch „flüchtigen“ 500 Kälbern, galten nach ersten tierärztlichen Untersuchungen weitere 3.700 der 14.000 Kälber Hyings als hormonverseucht. Die Tierbeseitigungsanstalt im Kreis Borken tötete rund die Hälfte per Elektroschock. Die übrigen Tiere wurden in der Abdeckerei in Marl geschlachtet. Nach Weisung des Landwirtschaftsministeriums NRW, werden die 3.700 toten Kälber jetzt zu Hundefutter und Industriefett (zum Beispiel Schuhcreme) verarbeitet. Die hormonellen Stoffe sind, so der Sprecher des Ministeriums, besonders im Fettgewebe der Tiere vorhanden. Die etwa 10.000 noch lebenden beschlagnahmten Kälber, werden derzeit von den Veterinär-Ämtern Arnsberg und Detmold untersucht.

Die Kosten der massenhaften Kälberschlachtung trägt die Kreisbehörde Borken. Noch hat man dort keinen Überblick über den finanziellen Aufwand. Später soll der Verursacher der Behörde die Kosten ersetzen. Felix Hying aber hat am Donnerstag beim Amtsgericht Bocholt Konkurs angemeldet. Derzeit befindet er sich in dem Justizkrankenhaus in Fröndenberg (Kreis Unna). Ein Amtsarzt hatte seinen Gesundheitszustand als angegriffen beurteilt. Der Hormonskandal schlägt mittlerweile auch innenpolitische Wogen: Das Bundesgesundheitsministerium wirft dem NRW -Landwirtschaftsminister Matthiesen vor, zu spät über die Hormonfunde der Stichprobenuntersuchungen im Juli informiert worden zu sein. Es hätten umgehend die anderen Bundesländer und die EG in Kenntnis gesetzt werden müssen. Dazu ein Sprecher des NRW-Ministeriums: „Absoluter Quatsch. Das war im Juli nur ein Anfangsverdacht, darauf konnten wir doch nicht gleich den ganzen EG-Markt sperren.“

Zur Schwangerschaftsverhütung reiche die in einem Kalbsschnitzel enthaltene Hormondosis wohl nicht aus, erklärte ein Sprecher des Schering-Konzerns auf Anfrage der Nachrichtenagentur 'ap‘.