Wiener Polizei auf Abbruchkurs

■ Polizei in der österreichischen Hauptstadt räumte zwei besetzte Häuser / Mit dem Abbruch wurde sofort begonnen / Nach heftigen Straßenkämpfen 67 BesetzerInnen festgenommen / Kulturzentrum aufgelöst

Wien (ap/taz) - Die Wiener Polizei hat dem „kleinbürgerlichen Spießertum wieder ein Opfer gebracht“. Innerhalb von 24 Stunden räumten Spezialeinheiten zwei besetzte Häuser in der österreichen Hauptstadt. Nach heftigen Kämpfen um die Altbauten in Mariahilf wurden 67 Personen festgenommen. Die Polizei zählte elf verletzte Beamte; die Zahl der Verletzten unter den meist jugendlichen Besetzern wurde nicht bekannt. Die beiden Gebäude, in denen Obdachlose und Mitglieder autonomer Gruppen lebten und soziale Therapiegruppen sowie ein Kulturzentrum untergebracht waren, glichen nach dem Polizeieinsatz riesigen Trümmerhaufen: Die Stadt hatte sofort mit dem Abriß begonnen, um Grünanlagen anzulegen.

Die Räumungsaktion hatte am Donnerstag in einem ersten Gebäude in der Spalowskigasse begonnen. Nach heftigem Zoff flüchteten die BewohnerInnen über eine Brücke, die sie hinter sich abrissen, in das Jugendzentrum in der Aegidigasse. Während bereits mit dem Abriß des ersten Hauses begonnen wurde, versuchte der Geschäftsführer der österreichischen Grünen, Pius Strobl, die Gemeinde Wien mit einem Kaufangebot zu gewinnen. Strobl sagte anschließend, die Räumung sei ein „Geschenk an das kleinbürgerliche Spießertum“.

Trotz des Abbruchlärms wurde auf der Straße nachts gefeiert: die Wirtin des benachbarten Gasthauses Seibold behauptet, sie habe den Besetzern sechs Kilo Schnitzel Fortsetzung auf Seite 6

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und Schweinsbraten spendiert.

Das Bild der Nacht änderte sich am frühen Freitagmorgen, als schwerbewaffnete Polizeikräfte aufzogen. Die Polizei hatte zuvor Haftantrag gegen sechs Unbekannte wegen der Verletzung gestellt, die Polizisten bei der Räumung des Gebäudes erlitten haben sollten. Das diente als Anlaß für den Sturm auf das Kulturzentrum in der Aegidigasse. Mit einer Schubraupe wurde das Haupttor aufgerissen, während gleichzeitig eine Wand im hinteren Teil des Hauses durchbrochen wurde. Die Polizisten, die schußsichere Westen trugen, wurden von Falltüren und Fallstricken empfangen und arbeiteten sich teilweise mit Schneidbrennern durch Barrikaden. Nennenswerten Widerstand leisteten die Besetzer nicht. Nach Aussagen der Grünen seien die Besetzer verprügelt worden.

Dem Abriß der beiden Häuser waren jahrelange Verhandlungen zwischen Stadtverwaltung und den BewohnerInnen vorausgegangen, die von der Gemeinde immer wieder sabotiert worden waren. So wurden Leuten, die im Bezirk aktiv Kultur und Sozialarbeit leisteten, Ersatzwohnungen weit draußen am Stadtrand angetragen.

Ein Sprecher der Bewohner forderte gestern ein neues Haus sowie die Freilassung aller Festgenommenen und versprach: „Wir werden keine Ruhe geben.“ Nach der Räumung kam es zum ersten politischen Krach. Die österreichischen Grünen warfen der Stadt vor, Wien habe nun fast 100 Obdachlose mehr. Jetzt seien zusätzlich soziale Ausgaben erforderlich, die bisher von der Hausgemeinschaft selbst getragen worden seien. Pius Strobl, beschuldigte die Polizei, einen „Politskandal ersten Ranges“ inszeniert zu haben.

OL