DAS QUADRATISCHE NADELÖHR

■ Retrospektive von Josef Albers im Bauhaus-Archiv

Zur oekonomie und verantwortung, disziplin und kritik“ zu erziehen, gehörte zu den erklärten Zielen der 'werklehre‘, die Josef Albers am Bauhaus von 1923 bis 1933 lehrte. Albers legte dem Künstler in bezug auf den Umgang mit dem Material einen Katalog moralischer Tugenden auf. Diese Ethik der Arbeit war nicht nur methodisch gemeint: Der Künstler und sein Werk sollten von dieser Moral zeugen. Albers selbst erreichte mit der Befolgung seiner Regeln eine erstaunliche Unabhängigkeit seiner künstlerischen Produktion von seinen Lebensumständen. In der konsequenten und strengen Verbannung von allem Subjektivem und Expressivem aus seinem Werk, erfuhr er den Erfolg.

In der Lehre von der Farbwahrnehmung ist Albers Serie „Homage to the Square“ von ineinandergeschachtelten farbigen Quadraten heute das quadratische Nadelöhr, durch das viele Kunststudenten schlüpfen müssen. Die „Homages“, an denen Albers mit über 60 Jahren zu arbeiten begann und die er über 26 Jahre lang verfolgte, stellen sein Spätwerk da. Sie demonstrieren das Ideal der unendlichen Vielfalt in der freiwilligen Beschränkung und bei strenger Reduktion des Bildgegenstandes. Mit nur einer Figur - dem Quadrat - und jeweils drei oder vier unvermischten Farben gelangen Albers an die 1.000 Variationen seines Themas. Reiche Belohnung von Ökonomie und Disziplin: Jedes Square ist neu und anders. Je mehr man diese 'Meditationsbilder des 20.Jahrhunderts‘ (Albers) anschaut, desto süchtiger könnte man danach werden und die ganze Serie wie in einem Film an sich vorüberziehen lassen. (Im Bauhaus-Archiv sind 45 der Homages zu sehen.) Albers hat den Farben keine Symbolik oder Metaphysik untergeschoben. Er ist Purist der Farbe; sie bedeutet nur sich selbst. Er führt ihre unmittelbare sinnliche Ausstrahlung, ihre spezifische Reflexion des Lichts beinahe als physikalisches Experiment vor, in einer unendlichen und geordneten Versuchsanlage: Die Identität jeder Farbe besteht nur in der Tube. Ein und dieselbe Farbe aber wird nicht nur von jedem Betrachter subjektiv anders wahrgenommen (um dies zu erläutern, gebrauchte Albers das Beispiel, daß unter 50 Leuten keine zwei bei der Bezeichnung Coca-Cola-Rot die gleiche Vorstellung hätten), sondern ihre Präsenz, Wirkung von Tiefe und Dichte, Helligkeit und Schwere verändert sich je nach ihrer Lage im Kern oder an den Rändern des Quadrates und durch den Einfluß der anderen Farben.

Albers selbst sorgte dafür, daß die Squares als sein Hauptwerk angesehen wurden, und er hielt die Dokumente seiner künstlerischen Entwicklung privat verschlossen (und gut geordnet). Daß er als Maler des Quadrats identifiziert wird, geht auf diese Selbstinszenierung zurück. Beinahe jedes Museum besitzt eine leicht zu erkennende Arbeit von ihm. Die Retrospektive, die das Bauhaus-Archiv jetzt vom Guggenheim Museum New York übernommen hat, beginnt dagegen mit seinen frühen gegenständlichen Zeichnungen. In Studien zu Tänzern, Gänsen und anderem Kleinvieh beschrieb er Bewegung und Volumen mit wenigen kalligraphischen Konturen.

Albers, zuvor schon Volksschullehrer und Kunsterzieher, brach 1920 sein Kunststudium an der Akademie der Bildenden Künste in München ab. „Ich war 32, warf den ganzen Krempel über Bord und fing noch einmal ganz von vorn an.“ Sein Neubeginn am gerade ein Jahr zuvor gegründeten Bauhaus markierte für ihn einen befreienden Bruch mit den Traditionen. Sein Biograph Nicolas Fox beschreibt seine ersten Innovationen am Bauhaus: „Als er kein Geld für Farbe und Leinwand hatte, ging er mit Spitzhacke und Rucksack auf den städtischen Müllplatz... Zurück kehrte er mit Glasscherben, die er zu Kunstwerken zusammenstellte.“ In dieser Legende wird Albers Sensibilität für das Material aus der materiellen Not und der dennoch ungebrochenen Erfindungslust geboren. Doch nur in seinen Glasassemblagen, die er bald zu regelmäßigen Gittern ordnete, hat sein Material als Fundstück ersichtlich eine eigene Geschichte. Aber anders als für Dadaisten und Collagisten legte er auf die Bedeutung des Materials als Fundstück keinen Wert: Er bevorzugte die Stoffe pur, ohne Vorgeschichte. Für seine nächsten Glasbilder entwickelte er eine Methode der Herstellung in mehreren farbigen Schichten: Er zeichnete den Entwurf und gab einer Werkstatt die Ausführung in Auftrag. Rhythmisch gestaffelte geometrische Muster, die sich entfernt an den Tasten einer Klaviatur oder der Fensterordnung eines Wolkenkratzers orientieren, in zwei oder drei Farben ausgeführt: Das Glas dieser Streifenbilder beanspruchte nicht nur pars pro toto moderner Architekturen zu sein, sondern auch die bisher nur Kirchenfenstern zugebilligte sakrale Ausstrahlung in ein meditatives Allgemeingut der Kunst zu verwandeln.

Albers entwickelte seine ersten Glasarbeiten ohne die Zustimmung der Bauhaus-Meister; doch honorierten sie seine Eigenständigkeit bald. Er wurde zur Einrichtung einer Glaswerkstatt und ab 1923 zum Unterricht des neu aufzubauenden Bauhaus-Vorkurses aufgefordert. Christian Wolsdorff beschreibt im Katalog diesen Vorkurs und belegt mit vielen Zitaten von ehemaligen Schülern, aus Flugblättern und Organen der kommunistischen Studierenden am Bauhaus die Querelen, die um Albers Experimentier- und Erfahrungskurse entstanden. Seine minimalen Anleitungen zur eigenen Entdeckung der Werkstoffe wurde oft nicht als Freiheit des Erfindens gesehen, sondern als sinnlose Zeitverschwendung und Kinderei. Selbst eine Schülerin, die seine Methode der Anheizung der Imagination schätzte, beschrieb deren Ergebnisse teilweise als „Sandtorte mit Leberwurstaufstrich“.

Über Anni Albers, der der Katalog der Retrospektive gewidmet ist, erfährt der Leser nicht viel; ihre Arbeiten kommen gar nicht vor. Am Bauhaus, wo sie Albers kennenlernte und heiratete, studierte sie seit 1922 in der Klasse für Weberei, deren Leitung sie 1931 übernahm. Die Ästhetik ihrer Wandbehänge und Stoffmuster steht den Alberschen Glasbildern nahe. Überflüssig erscheint mir eine Auseinanderdividierung ihrer gegenseitigen Einflußnahme oder ein Streit um das Erstgeburtsrecht ihrer Ideen. Beide lehrten in den USA 16 Jahre lang am Black Mountain College. Ihre pädagogischen und künstlerischen Karrieren entwickelten sich in großer Parallelität.

Als das Bauhaus 1933 als bolschewistische Institution von den Nationalsozialisten diffamiert und angegriffen und in der Folge von den Bauhaus-Meistern aufgelöst wurde, wich Albers von seinem Weg der Planung und Abstraktion nicht ab. Das Ideal der Neutralität des Kunstwerks, seiner Unabhängigkeit von sozialen Lebensbedingungen und Emotionen ließ die Kunst jetzt für ihn zu einem Garant seines Überlebens werden. Berufen an das neugegründete Black Mountain College in North Carolina konnte er dort schon lehren, bevor er noch die englische Sprache beherrschte. Seine Ästhetik war für die Identitätsfindung der amerikanischen Kunst prädestiniert, weil er bewußt nicht an europäische Kunsttraditionen anknüpfen wollte und deshalb das Nichtvorhandensein einer jahrhundertealten Kulturgeschichte nicht als Mangel, sondern als ideale Voraussetzung empfand. Albers Ankunft und prompte Integration in die amerikanische Gesellschaft - berufen an ein College und nicht wie der große Teil deutscher Emigranten aufgebrochen in die Unsicherheit - bestätigte sein Ideal: daß es auf die Herkunft und Geschichte nicht ankomme. Die Loslösung seiner abstrakten Visionen vom Zeitgeschehen und ihre imaginäre Unberührtheit gab ihm einen tatsächlichen Vorsprung und erwies sich als Brücke, als ideale Konstruktion, um bruchlos weiter zu arbeiten. Ich denke, daß paradoxerweise gerade diese sozialgeschichtliche Erfahrung zur Identifikation von abstrakter als gleichsam in einem geschichtsfreien Raum entstandener Kunst geführt hat. Als ein vom Leben scheinbar unabhängiges Medium erleichterte sie Albers den Wechsel aus der deutschen in die amerikanische Gesellschaft. Sie wurde zu einer allgemeingültigen Währung, in der es eine Artikulation von Verlusten nicht gibt: dies wird dann als Freiheit definiert.

1947 begann Albers die erste große Serie der „Varianten“: eine Figur aus Rechtecken und übereinandergelagerten Farbfeldern. Ab 1950 - er hatte an die Yale University gewechselt - arbeitete er an den Homages. Ihre Struktur war verglichen mit den „Varianten“ noch einmal sehr vereinfacht. Ihre Unabhänbgigkeit von Ort und Zeit ihrer Entstehung wurde künstlich geschaffen: Albers arbeitete in einem abgeschirmten Atelier - schon eher ein Labor - mit Neonlicht. Auf der Rückseite der Bilder notierte er die Firmennahmen und Nummern der Farben. Albers betonte die handwerkliche und praktische Solidität seiner Arbeit, vielleicht auch in Vorwegnahme des Vorwurfes des Elitären, den er dadurch zu entkräften suchte.

Katrin Bettina Müller

Josef Albers, Retrospektive. Bis 2.Oktober, täglich außer dienstags, 11 bis 17 Uhr. Katalog kostet 33Mark