„Heavy cheap drinking“

Beim ersten Fan-Kongreß „Fußball ist unser Leben“ wurde von, mit und an den Betroffenen vorbei geredet / Der Soziologe bekommt das Objekt seiner Begierde, der Fan dessen Vokabular  ■  Aus Bremen Petra Höfer

Peter Hanisch ist mit seinen gut 50 Jahren nicht nur Vorsitzender der Deutschen Sportjugend, sondern auch Polizeidirektor in Berlin. Er darf die Eröffnungsrede halten. Da schwappt er gleich mit einer „Welle von Gewalt und Aggression“ ins Auditorium, erkennt scharf die „Krise ethischer Werte“ im „Kampf nicht nur um den Ball“, flicht dazu regelmäßig den „Fan in der Kurve“ ins Gesätz, daß die Angesprochenen das Kichern kriegen, und verabschiedet sich etwas unangebracht mit einem „Glück auf“. Nein, das ist kein gewerkschaftlicher Abend zur Jugendarbeitslosigkeit in Bergbau und Stahlindustrie. Das ist mitten in Bremen und der erste bundesweite „Fußball-ist-unser-Leben„-Kongreß. Für Fans. Das merkt man gleich. An der Decken hängen ein paar Meter Fußballfahnen.

Zwischen Anzugherren, Jungpolizisten, Soziologen, Medienmenschen und einem ordentlichen Haufen Sozialarbeiter hocken auch fast 80 festangemeldete und eine Handvoll spontan hereinschauende waschechte Fans auf den Seminarstühlen: prachtvoll zugestickerte Menschen mit bunten Vereinskutten, Schals und Hütchen. Sie sind umgeben von Notizblöcken, Mikrophonen und Kameras. O-Töne sind erwünscht. Das freut den Fan. „Sonst fragt dich ja keiner. Und heute schon das 4. oder 5. Interview.“

„Erbse“ Erdmann im Hannenalt-Kampftrinker-T-Shirt darf sogar ans Rednerpult: „Liebe Freunde, liebe Fans, liebe weibliche Fans.“ Erbse kommt aus Dortmund. Mit Birgit aus Bremen hat er einen ordentlichen „United-Faire-Fans„-Club gegründet. Einen Verein mit schriftlicher Satzung, die alle guten Menschen, die gegen Hauereien sind, die Mitgliedschaft gestattet. „Wir brauchen nicht immer die Oberen, Stadt und so“, sagt Birgit, „wir können auch selbst was machen.“ Erbse geht durch die Reihen der Sozialarbeiter und verteilt die Vereinsregeln, ganz jugendpädagogisches Problem zum Anfassen.

Höhepunkt des 380.000 Mark teuren Wir-reden-jetzt-mal-ganz -offen-und-partnerschaftlich-kritisch-und-DFB-gesponsort- -miteinander war die „Talkshow zum Thema“. 4 Fans, 1 Fanprojektleiter, 1 ZDF-Palme, 1 Polizeieinsatzleiter, 1 Fan -Forscher-Soziologe, 1 Sportwissenschaftler als Moderator. Der steigt ohne Umscheife in die „tiefergehende Warum-Frage“ -Runde ein: Was geht wohl in einem Fan vor, der aus beruflichen und privaten Gründen am Wochenende nicht zum Spiel kann. Die Fans reden viel über Gemeinschaftserlebnis und Gruppe und Identifikation und kapitalistische Unternehmens-Vereine. Die Zusammenarbeit mit den Soziologen zahlt sich hier schon aus. Nur ein KSC-„Destroyer“ direkt aus der JVA wird später einer Arbeitsgruppe mitteilen: Ich haue mich, weil es Spaß macht. Und ein Frankfurter eröffnet einen Blick in sein Gefühlsleben: „Jahrelang sag ich, der Wuttke ist ein Arschloch, und jetzt soll ich mich mit dem identifizieren. Als Fan mußt du ganz schön tolerant sein.“.

Forderungen werden gestellt: ordnungsgemäße Betreuung; Abende mit Profi-Spielern; Patenschaften zur Identifikationserleichterung; DFB-Geld; Vereins-Geld; Fahrgeld; eine Bude in der Kurve zum Verteilen von „Fan -Materialien“. Und das Fernsehen soll mehr über Fans bringen. Eine Petition des Kongreßorganisationskomitees ans ZDF wird angeregt, mit Unterschriftenliste. Die Fans gucken zunehmend verständnislos aus den Kutten.

Schön immerhin an der ganzen Versammlung war ein Vortrag von John Williams vom Sir-Norman-Chester-Football-Research -Center aus Leicester, ein gut aussehender, sehr britischer Herr im New-Wave-Hemd. Für ihn dient Fußball der lokalen Inszenierung von Männlichkeit mittels „heavy cheap drinking“ und ist nationalverwirrtes Bemühen „to put Great back into Britain“. Das alles lebt von der physischen Präsenz im Stadion. „Das Spiel spiegelt die Art wieder, wie wir Sport überhaupt sehen: reichlich Macho. Glen Hoddle war bei der EM nur deshalb nicht in der Mannschaft, weil er spielt wie ein Mädchen.“ Ab und zu drückte jemand aus der Fußgängerzone direkt vor dem Bremer Bürgerhaus die Nase an die Scheibe. Nichts los da. Auch von draußen muß der Fan-Kongreß einen ziemlich langweiligen Eindruck gemacht haben. Dem DFB schaffte er jedenfalls Gelegenheit zu einer PR-Geste des guten Willens: 30.000 Mark ließ er fürs Besprechen der „Rowdys“ springen. Die praktische Betreuung während der Europameisterschaft war ihm soviel nicht wert gewesen.