Erfolgreicher WAA-Erschütterungstermin

■ Erörterungstermin zur Wiederaufarbeitungsanlage in Wackersdorf wurde abrupt beendet / Nur ein kleiner Teil des Themenkomplexes ist behandelt worden Lokalpresse spricht von „Blamage der DWK“ / Weitere Einwände sollen jetzt schriftlich ans Umweltministerium gehen / Eine Bilanz aus Neunburg vorm Wald von Bernd Siegler

Nürnberg (taz) - „Das Ende kann ganz schnell gehen“, hatte der Sprecher der WAA-Genehmigungsbehörde, Günther Grass vom Bayerischen Umweltministerium, nach drei Wochen Erörterungstermin erklärt. 14 Tage später ging es dann wirklich ganz schnell. Unmittelbar nach der Mittagspause am letzten Freitag erklärte der vom Ministerium eingesetzte Verhandlungsleiter Dr. Hermann Basse den WAA -Erörterungstermin für beendet und wünschte den Teilnehmern eine „gute Heimfahrt“. Alle wesentlichen Punkte seien genügend erörtert. Basta.

Sollte dies stimmen, müßte in Neunburg in den letzten 14 Tagen schon ein rasanten Tempo vorgelegt worden sein, denn noch am 28.Juli hatte selbst die WAA-Betreiberfirma DWK bilanziert, es sei erst einer von 60 Punkten abgehakt. „Nicht einmal die Hälfte selbst der vom Umweltministerium aufgestellten Themenliste ist abgearbeitet“, stellte der Vertreter der Oberpfälzer Bürgerinitiativen Wolfgang Baumann nach dem Abbruch empört fest.

Als der Erörterungstermin am 11.Juli in der überfüllten Neunburger Stadthalle begann, rechneten die WAA-Gegner mit mindestens acht Wochen tiefschürfender Diskussion über die Grundlagen der zweiten atomaren Teilerrichtungsgenehmigung (TEG), die noch in diesem Jahr erteilt wersen soll. Die WAA -Genehmigungsbehörde war da etwas vorsichtiger. Sie hatte die Neunburger Stadthalle für 25.000 DM nur einschließlich bis letzten Freitag angemietet.

Schon am ersten Tag drohte Verhandlungsleiter Rudolf Mauker, Ministerialrat im Umweltministerium, aufgrund anhaltender Tumulte mit dem Abbruch des Termins. Nur mit Mühe konnte die Einwenderseite die aufgebrachten WAA-Gegner im Saal beruhigen, deren Ziel es war, öffentlichkeitswirksam auf die Schwachstellen im WAA-Konzept hinzuweisen und die Verfilzung zwischen Genehmigungsbehörde, offiziellen Gutachtern und WAA-Betreiber- bzw. Errichtungsfirmen aufzudecken. Damit sollte gerichtsverwertbares Material für die nächsten anstehenden Instanzen im juristischen Kampf gegen die WAA gesammelt werden.

Der ersten Punktsieg gelang den Vertretern der 881.000 Einwender bereits am ersten Tag, als sie die Anklageschrift der Hanauer Staatsanwaltschaft vom 17.10.86 zitierten, wonach „erhebliche Zweifel an der Objektivität des TÜV Bayern als Gutachter“ aufgekommen seien. Nach einer Absprache aus dem Jahr 1983 zwischen dem Umweltministeriums und dem TÜV zum ersten Erörterungstermin, hat der TÜV sogenannte „Goldene Regeln“ verfaßt.

Darin finden sich Ratschläge wie zum Beispiel der Genehmigungsbehörde und anderen Gutachtern nicht zu widersprechen oder bei sogenannte risikobehafteten Fragen „Tricks des Zeitgewinns durch Rückfragen, Präzisierung der Fragestellung und ausweichendes Antworten“ anzuwenden. Rechtsanwalt Sailer aus München nannte daraufhin den TÜV eine „konspirative Einrichtung zum Durchdrücken der WAA“, verlor jedoch mit seinen Anträgen auf Ausschluß des TÜV ebenso wie mit seinen Befangenheitsanträgen gegen Mauker in allen Instanzen.

Immer wieder kamen bei der Erörterung neue Details aus dem Atomfilz ans Tageslicht. Mauker sitzt im Aufsichtsrat der „Gesellschaft für Reaktorsicherheit GmbH„und im Präsidium des „Kerntechnischen Ausschusses“, Ministerialdirigent Dr. Vogl, zuständig im Umweltministerium für Kernenergie und Strahlenschutz, im Aufsichtsrat des TÜV. Jürgen Wilhelm, vom Umweltministerium als unabhängiger Gutachter für die WAA -Jodfilter beauftragt, ist selbst Erfinder dieser Filter und Mitglied der Kernforschungsanlage Karlsruhe und der Reaktorsicherheitskommission.

Obwohl sich sowohl Gutacher als auch die DWK bis auf wenige Ausnahmen strikt an die „Goldenen Regeln“ hielten und in kritischen Phasen immer wieder verfahrensmäßige Schützenhilfe durch das Umweltministerium erhielten, gelangen den Einwendern weitere Erfolge. Nicht sehr werbewirksam titelte die örtliche Presse „Die DWK mit dem Rücken zur Wand“ oder „DWK am Rand einer Blamage“.

Insbesondere bei der Sachdiskussion zum Thema kamen Ministerium, DWK und Gutachter in arge Bedrängnis. Prof. Jürgen Bruggey vom Augsburger Institut Geotec sowie Prof. Armin Weiß, Landtagsabgeordnete der Grünen, erschütterten mit Hilfe von Satellitenfotos die von der DWK vertretene Auffassung, wonach die wassertrennenden geologischen Schichten unterhalb der WAA ruhend, undurchlässig und keine Verbindung zur sogenannten Bodenwöhrer Senke hätten. Aufgrund der Bedeutung des Grundwasservorkommens als Trinkwasserspeicher für die gesamte Oberpfalz ist dies nicht nur ein entscheidender Punkt für alle WAA-Gegnern, sondern vor allem für die umliegenden Gemeinden ein zentraler Kritikpunkt.

Es rächte sich, daß der DWK-Gutachter durch Abwesenheit glänzte und die Betreiberfirma dafür den Bauingenieur Borsrtzky ins Rennen schickte. Der war dem Hagel von bohrenden Fragen nicht gewachsen und gab schließlich zu, daß es tektonische Bewegungen im Untergrund der Bodenwöhrer Senke gegeben habe. Die DWK versuchte mit Mauern zu retten was zu retten war. Sie weigerte sich die Tagesbohrprotokolle herauszugeben und die Baustelle zu besichtigen. Doch am Ende war klar, so Weiß, daß es „keine heile Unterwelt von Wackersdorf gibt“.

Sowohl die Genehmigungsbehörde als auch das Geologische Landesamt als Gutachter haben das seit 1977 bekannte Satelliten-Material offensichtlich absichtlich unter den Tisch fallen lassen. Aus dem Material geht zusätzlich hervor, daß sämtliche Bohrungen in der Weise angesetzt worden sind, daß die tektonischen Störungen umgangen werden konnten. Rechtsanwalt Baumann verlangte daraufhin, die DWK wegen „Unzuverlässigkeit aus dem Verfahren auszuschließen“.

Die Macht der Verhandlungsführung versuchte das Umweltministerium ab dem Ende der dritten Erörterungswoche einzusetzen, um den entstandenen Flurschaden zu begrenzen, der durch die Diskussion für die WAA-Betreiberseite entstanden war. Als „Akt der Zensur“ geißelten die Eiwender Maukers Eingriff in die Tagesordnung am 27.Juli. Neueste wissenschaftliche Erkenntnisse zum Strahlenschutz insbesondere zur Gefährlichkeit von Niedrigstrahlung, Fragen zur Wirtschaftlichkeit der WAA und deren psychosomatische und gesellschaftliche Auswirkungen hätten in Neunburg ebensowenig zu suchen, wie die Erörterung des Restrisikos, beschied der Verhandlungsleiter.

Zur gleichen Zeit versuchte die DWK die Notbremse zu ziehen. Antworten auf Einzeleinwender wolle man nur noch schriftlich zu den Akten geben. Darüberhinus wolle die DWK selbst entscheiden, auf welche Fragen sie antworten will und auf welche nicht. DWK-Delegationsleiter Ludwig Harms beklagte den Psychoterror in dem „fast schon inquisitorischen Verfahren“ in Neunburg. In der Stadthalle würde „ein Politspektakel gegen die friedliche Nutzung der Kernenergie“ abgezogen.

Auch eine neuerliche rigide Tagesordnung von Mauker, die zum Beispiel für die Themen „Sicherheit der Anlage“ und „Auswirkugnen der Anlage auf die Umgebung“ nur jeweils zwei Tage vorsah, bewahrte die DWK nicht vor weiteren Blamagen. Es kam ans Tageslicht, daß die WAA-Betreiber mit veralteten Rechensystemen das in die WAA einzubringende Radioaktivitätsinventar ermitteln will. Gerald Kirchner, Physiker an der Uni Bremen, folgerte daraus, daß „sämtliche DWK-Daten zum Normalbetrieb und auch zum Störfall schlichtweg falsch“ sind. Außer der DWK, so Kirchner, sei ihm kein Betrieb mehr bekannt, der mit dieser veralteten Methode arbeitet. Er sprach der DWK ab, das „nötige Know how zum Betreiben der Anlage“ zu besitzen.

Bernhard Fischer vom Öko-Institut Darmstadt kritisierte, daß es noch keine technische Möglichkeit zur kontinuierlichen Überwachung des Jodausstoßes gebe. Jod 129 hat immerhin eine Halbwertzeit von 16 Millionen Jahren.

Zusammen mit seinem Öko-Insitutskollegen Sailer nahm Fischer das Brennelementebereitstellungslager aufs Korn, das ihrer Meinung nicht als Durchgangsstation, sondern eher als zusätzliches Zwischenlager dienen soll. In diesem Punkt habe sogar der TÜV-Vertreter gegen die „goldene Regel verstoßen“ und dem Umweltministerium sowie der DWK widersprechen, als diese eine Lagerung in sogenannten Transportbehältern bis zu drei Monaten für zulässig und tolerabel erklärt hatten. Baumann bezeichnete das Bereitstellungslager daraufhin als „Bermuda-Dreick für Atommüll“.

Zuvor hatte Fischer gefordert, die Endlagerfähigkeit des in der WAA anfallenden Atommüls in sogenannten Glaskokillen noch einmal durch unabhängige Gutachter zu prüfen und nicht, wie es das Umweltministerium vorsah, durch die Physikalisch -technische Bundesanstalt in Braunschweig. Als Antragsteller habe die PTB selbst ein gewichtiges Interesse am Bau des Endlagers in Gorleben.

Einen Tag bevor Mauker am 5.August wegen Krankheit aus dem Erörterungstermin ausschied, hatten die Einwender gefordert, daß die Schadstoffvorbelastung in der Umgebung der WAA bei der Genehmigung der Anlage mitzuberücksichtigen sei. Der Physiker Eckhart Krüger sprach „von einem einmaligen Schadstoff-Cocktail“ nicht nur aus der konventionellen Vorbelastung zum Beispiel durch das Schwandorfer Müllkraftwerk oder das Bayernwerk, sondern auch durch Tschernobyl und andere kerntechnische Anlagen in und außerhalb der BRD.

DWK und Umweltministerium wiesen das auch dann noch zurück, als am 9.August das Verwaltungsgericht in Regensburg zwar den Abriß des Atommeilers in Niederaichbach genehmigte, jedoch die Berücksichtigung der Vorbelastung durch Tschernobyl bzw. AKWs im In- und Ausland für atomrechtliche Verfahren zur generellen Notwendigkeit erklärt hatte. Daraufhin bezeichnete ein Vertreter der Stadt Landshut das ganze Erörterungsverfahren als „rechtswidrig“.

Einen Tag vor ihrem abrupten Ende entpuppte sich die Anhörung, wie von den WAA-Gegnern schon von Beginn an vermutet, letztendlich als Farce. Bernhard Fischer vom Öko -Institut legte ein Schreiben vor, wonach der Siemens -Unternehmensbereich KWU bei der Duisburger Standard-Kessel -Gesellschaft bereits eine Frischdampferzeugeranlage im Wert von 5,2 Millionen geordert hatte, obwohl diese Anlage Bestandteil der erst in Neunburg zur erörternden 2. TEG ist. Siemens erhielt die Auftragsbestätigung am 13.Juli, zwei Tage nach Beginn der Erörterung.

So war es höchste Zeit für das Umweltministerium in Neunburg am Freitag um 14.03 Uhr den Schlußstrich zu ziehen, zumal noch vor der Mittagspause die Herren der DWK an ihrer empfindlichsten Stelle getroffen wurden. Freda Meißner-Blau, Nationalrätin der Österreicher Grünen, hatte sich tief entsetzt darüber gezeigt, daß „die Bundesrepublik als Nachfolgestaat jenes Staatsgebildes, das den blutigsten Krieg in der Menschheitsgeschichte entfacht hat, nach Plutonium greift“. „Weshalb sonst wird diese WAA errichtet“, fragte sie die Betreiberfirma. Daraufhin zogen die DWK -Vertreter geschlossen aus dem Saal.

Nach 23 Erörterungstagen kamen in Neunburg lediglich 150 der 881.000 Einwender zu Wort. Diejenigen, die nicht zu Wort gekommen sind, können, so Verhandlungsleiter Basse, innerhalb eines Monats ihre Bedenken gegen die WAA schriftlich beim Ministerium begründen. Das sollten die 880.850 auch tun.