Da schlägt es dreizehn

■ Das 'Neue Deutschland‘ verarscht die DDR-Bevölkerung am Jahrestag des Mauerbaus

Berlin (taz) - „Die DDR stand. Die Arbeiter in den Kampfgruppen und die an ihren Maschinen - standen. Die Volkspolizei und die Nationale Volksarmee - standen“ und schließlich stand auch die Mauer, als der „Morgen graute“. Wen es dagegen nicht graut, jedenfalls nicht vor Pathos und Schwulst, das ist Hajo Herbell, Autor des 'Neuen Deutschland‘, der zum Wochenende in einem hier zitierten ganzseitigen Artikel den Mauerbau vor 27 Jahren beschrieben hat.

Wer auf die Tilgung von weißen Flecken in der DDR -Stalinismusgeschichte hofft, wird dabei allerdings bitter enttäuscht. Die Vorgeschichte der Mauer, die sich, laut Herbell, liest „wie ein Kriminalroman“, reduziert sich auf den „imperialistischen Mißbrauch“, den der Westen mit der offenen Staatsgrenze trieb: In West-Berlin übten über 80 Geheimdienste und Terrororganisationen ihre „Wühltätigkeit“ gegen die DDR aus. „Um Unruhe in der Bevölkerung zu stiften, legten Westberliner Agenten Brände im Viehhof an der Leninallee. Werden die Jüngeren und Jungen verstehen, wie uns zumute war, die wir das sahen?“ Ebenso zumute, allerdings schon nach dem Mauerbau, war es dann einer ganz anderen Bevölkerungsgruppe: „Damen, die ihrem Gewerbe am Kurfürstendamm nun nicht mehr nachgehen konnten, vergossen Tränen.“

Immerhin gibt Herbell zu, daß der 13.August auch für viele „anständige Leute“ Probleme brachte. Und dann die große organisatorische Herausforderung: neue Bahnfahrpläne mußten her, und auch neue Arbeitsplätze für „sogenannte Grenzgänger“.

Es waren dem Artikel zufolge an die 60.000, „die Tag für Tag über die offene Grenze nach WestBerlin pendelten und sich für einen Judaslohn in „harten Piepen“ ausbeuten ließen.

Westliche Firmen führten Abwerbelisten von DDR-Fachleuten, „gewissenlose Profiteure kassierten Kopfprämien“. Auf diese Weise habe der Westen die DDR schon bis zum Mauerbau um 100 Millionen geprellt.

Nur gut, wird der erleichterte Leser im Stillen denken, daß die DDR sich von diesem Zeitpunkt an mit Kopfprämien für Ausreisewillige revanchieren konnte. Trotz aller einseitigen Geschichtsverdrehung enthält der Artikel eine Neuerung: die Mauer wird nicht mehr als „antifaschistischer Schutzwall“ bezeichnet.

Leider ist gerade dieses Element nicht umkehrbar: Für neue Ideen braucht man neue Worte, aber nicht jede neue Sprachregelung bezeichnet auch ein neues Denken.

Barbara Kerneck