Ein Maler, zwei Linien

■ Jorge Kuhn, chilenischer Maler, der in Schweden lebt, stellt Bilder und Zeichnungen in der Galerie El Patio aus: formal divergierend, inhaltlich verbunden

Jorge Kuhn - das ist, das sind mindestens zwei Maler. Anders ausgedrückt: Wer die derzeitige Ausstellung in der Galerie El Patio betritt, muß glauben, statt des angekündigten einen würden nunmehr zwei Künstler ausgestellt. Der Unterschied zwischen der starkfarbigen Malerei und den knappen Zeichnungen ist frappierend. Sie bilden Blöcke, denen man kaum ansieht, daß sie von einer Hand gemacht sind. Aber so divergierend die formale Beschaffenheit der Arbeiten ist, so verbindend sind ihre Inhalte und beharrlich sich wiederholenden Themen: Feuer, Köpfe und Gesichter, in stiller Melancholie.

Der 1947 geborene Chilene Jorge Kuhn lebt seit 1975 in Schweden, wo er Kunst studierte, seine künstlerische Sprache entwickelte. Die ihm gegenüber häufig geäußerte Vermutung, er suche durch die Malerei nach seinen „lateinamerikanischen Wurzeln, seinen chilenischen Ursprüngen“, weist er von sich. Diese Art der Identitätsfindung wäre ihm zu simpel, und so gern er nach Chile zurückkehren würde - ihn interessiert doch mehr als nur seine ethnologische und kulturelle Herkunft. Die maskenhaften Gesichter in seinen Bildern begründet er darum mit seiner Vorliebe für die afrikanische Kultur.

Natürlich lassen ihn die Erinnerungen an Chile nicht los, zumal er seit dreizehn Jahren in einem Land lebt, das in mancherlei Hinsicht das absolute Gegenteil seines eigenen ist. Inwieweit dieser Kontrast seine Malerei prägt, kann er nicht erklären; daß er selbst davon geformt ist, erfuhr er letztes Jahr, als er zum ersten Mal nach dreizehn Jahren wieder zu Hause war und dort ausstellte: Die alten Freunde fanden ihn zurückhaltender, weniger spontan, „schwedischer“.

Er sagt es augenzwinkernd, doch es ist gut vorstellbar: Um die Farblosigkeit des schwedischen Winters zu kompensieren, male er in dieser Jahreszeit besonders starkfarbig. Möglich, daß die Kälte auch seine Lust an der Bewegung dämpft und darum seinen

Strich schwer und fest werden läßt. Ob nun jahreszeitlich bedingt oder nicht, die leuchtenden Farben - bevorzugt Blau, Gelb und Rot, von denen mal die eine, mal die andere besonders gleißend von der Leinwand brennt -, und die fast schwerblütigen Kompositionen sind Merkmale dieser Malerei.

Meist sind es Köpfe oder Halbfiguren, eine Mutter mit Kind, eine Lesende, ein Feuerspeiender. Stets bleiben sie tief in sich selbst versunken, ohne Bezug zur Realität. Dabei sind es keineswegs Phantasiewesen - es sind Menschen, gefangen in einem Traum, geschützt, aber auch gebrandmarkt durch die brennenden Farben. Es gibt kein Lächeln, nur distanzierenden Ernst. Sicherlich spielen Kindheitserinnerungen eine Rolle und auch die Sehnsucht, zurückzukehren ins eigene Land. Für die Betrachter bleibt dies unerheblich, zumal die Szenen oft unnahbaren Andachtsbildern, ja Ikonen gleichen.

Der „Burro“ beispielsweise - der „Esel“ - mag zwar von dem Brauch erzählen, „unartigen“ Schülern eine spitze, lange „Eselsmütze“ aufzusetzen und ihn in die Ecke zu stellen, doch im Bild Jorge Kuhns wird der Beschimpfte zum Philosophen, der solche rüden Erziehungsmethoden in seiner geistigen Abgeschiedenheit kaum wahrnimmt.

Dagegen der „andere“ Jorge Kuhn: Wieder Gesichter, wieder viel Alleinsein, die unscharfe Weite eines endlosen Traums. Doch diesmal arbeitet er mit knappsten Mitteln, Tusche und krakeligen Bleistiftstricheleien, und nur wenige Linien genügen, das tägliche Dilemma des Sich-Behauptenmüssens aufzuzeichnen.

Das sind hochsensible Blätter, die von Kuhn als eine Art Denkspiel erklärt werden: Der Verzicht auf Farbe führe ihn zu den bildnerischen Ursprüngen zurück, die Reduzierung der Mittel zwinge zur Genauigkeit in der Bildstruktur.

In einer dritten Serie vermischen sich die malerischen mit

den zeichnerischen Elementen: Mit rostroter Kreide und schwarzer Tusche entfacht er auf großflächigem Papier eine Feuersbrunst, ihre Flammen züngeln über die „Erinnerung an den Süden“, ihre Glut schwärzt die unstillbare Hoffnung und verdunkelt die Gesichter.

Beate Naß

Galerie El Patio, Am Dobben 58.

Bis 18. September, Dienstag bis Freitag: 11 bis 18.30 Uhr.

Samstag: 11 bis 14 Uhr.