Sportlerherzen

■ Leben nach dem Ruhm, Mo., 14.8., DDR 1, 21.20 Uhr

„Es ist sehr schwer gewesen am Anfang, da man ja doch sehr viel - wie soll man das sagen ...“ Ulrike Richter, die Rückenschwimmerin vom Sportclub in Dresden, die zu gewinnen schien, wann immer sie wollte , sucht nach Worten, die das Lebensgefühl einer sozialistischen Sportlerpersönlichkeit treffend beschreiben. Es dauert ein bißchen, und endlich setzt sich die allseitig entwickelte Schöpferkraft des neuen Menschentypus in ihr frei und läßt sie sagen: „Man lebt doch sehr für den Ruhm.“ Die Umstellung auf ein Leben nach den siegreichen, großen Tagen fällt ihr noch schwer, während der unsichtbare Herr aus dem Off keine Mühe hat, ihr mindestens einen Tag dieser Größenordnung vorzuführen. Heute ist ein großer Tag für Ulrike Richter, die jetzt Schmidt heißt: ihre Tochter Nadine kommt in die Schule.

Dem Team des DDR-Fernsehens ist es gelungen, aus den zwischen gesicherten Grenzen sich massenhaft entwickelnden bewußten und schöpferischen Persönlichkeiten, mindestens drei Menschen aufzuspüren, die erstens noch da sind, und zweitens noch laufen, gehen, ja sogar rennen oder springen können, sich und ihren Körper also bewegen wie andere Menschen mittleren Alters dies tun, weil sie keinen Leistungssport betrieben haben. Neben der erfolgreichen Schulmutti zweier Kinder, Ulrike Schmidt, geborene Richter, stellen noch zwei weitere disziplinierte und verantwortungsvolle Bürger ihre körperliche Unversehrtheit unter Beweis: der älteste, erfolgreiche Ausdauersportler Peter Frenkel und Marita Koch, nunmehr durch Ring und Treue noch inniger ihrem ehemaligen Trainer als Marita Meyer -Koch verbunden und vormals schnellste 400-Meter-Frau der Welt.

Peter Frenkel, Gold- und Bronzemedaillengewinner im 20-km -Gehen, der in seinem Leben schon mehr als 100.000 Kilometer gegangen ist, treibt es auch in seiner revolutionären Umgestaltungsphase der Selbstveränderung noch weiter um. Er ist Fotograf geworden und geht nun durchs und aufs Land, um seiner Heimat, die ihm den Ruhm und die Reisen möglich gemacht hat, mit stillen Bildern ihrer Landschaft zu danken. Der Verband der bildenden Künstler der DDR nimmt nicht viele in seine Reihen auf, Peter Frenkel ist einer von ihnen geworden, stolzt erneut der Herrenkommentar aus dem Nichts. Der Geher aus Potsdam hat sich auch ein Bild gemacht von seiner Leichtathletik-Kollegin Marita Meyer-Koch und sie in jenem Moment per Fotografie festgehalten, als sie während eines Trainingslaufes plötzlich aus der Bahn läuft und sagt: Ich will nicht mehr. Und niemand kann sie umstimmen, versucht sich der Kommentator seine eigene Verwunderung zu erklären. Nun studiert die Frau, nach der man die Uhr stellen kann, Medizin. Während ihr Ehemann gemeinsam mit dem Gatten von Silke Gladisch den Vorraum zur Sauna, die sie bereits fertiggetischlert haben, auch noch mit einer Holzverkleidung verschönt, hilft Marita ihrer Freundin Silke, u.a. auch beim Gewinnen der Goldmedaille im 200 Meter Sprint. Ansonsten will Marita möglichst bald Kinder haben. Ob diese dann auch Leistungssport betreiben sollen, wird Marita nicht mehr gefragt, weil Ulrike diese Frage schon ganz zu Anfang des Films beantwortet hat. Natürlich werde ich meinen Kindern keine Steine in den Weg legen, wenn sie Sport treiben wollen. Schade nur, daß beide Kinder der Weltrekordschwimmerin wasserscheu sind. Die Läuferin dagegen besitzt vorerst nur das passende Auto: einen Trabi-Kombi, und da ist Platz für einen Kinderwagen im Heck, freut sich unser Kommentator und fährt fort, während Marita nicht so schnell weg kann, weil ihr Auto nur zögerlich anspringt. Marita bekommt, wie alle Studenten in der DDR, ein Stipendium. Maritas Stipendium ist viel höher als das ihrer Kommilitonen, aber sie hat auch viel geleistet.

„Unser Fernsehen stellt uns in vielen Reportagen ein anderes, aus der Wirklichkeit geschöpftes Menschenbild vor. Arbeiter, Brigadiere, Meister, Genossenschaftsbauern, Wissenschaftler, Künstler und Sportler, Arbeitskollektive treten vor die Kamera und sprechen davon, was sie sich in ihrem Leben und in ihrer Arbeit vorgenommen haben“, trug die Partei schon 1971 der „Kultur im gesellschaftlichen Leben der DDR“ und ihres Fernsehens auf. So ist es bis heute geblieben.

reg