Alpenrepublik Österreich - ganz auf NATO eingestellt

Das österreichische Bundesheer richtet sich mehr und mehr nach NATO-Erfordernissen / Das Konzept „Heeresgliederung '87“ beinhaltet die Aufrüstung von Großeinheiten und die Rückkehr zur Strategie der „großen Entscheidungsschlacht“ / Der neutrale Staat wird zum „Flankenschutz“ der NATO-Gruppe Mitte /  ■  Aus Wien Oliver Lehmann

Österreichs Soldaten sollen in Zukunft nach Schweizer Vorbild ihr Gewehr zwecks Steigerung der Wehrbereitschaft mit nach Hause nehmen, um es für den Ernstfall stets zur Hand zu haben. Das hat jetzt der österreichische Verteidigungsminister Robert Lichal (ÖVP) vorgeschlagen. Begonnen wird im Herbst mit einem Modellversuch in Vorarlberg. Dieser Vorstoß des alpenrepublikanischen Verteidigungsministers ist einer von vielen in Richtung „geistige Wiederaufrüstung“ des österreichischen Bundesheeres. Gemeint ist die konservative Wende der österreichischen Sicherheitspolitik, bei der der Verteidigungsminister vom österreichischen Offizierskorps nach Kräften unterstützt wird.

Seit seinem Amtsantritt vor zwei Jahren kann Lichal einige Erfolge verbuchen: Die in Schweden ausgemusterten Schrottbomber „Draken“ wurden gegen den Widerstand weiter Bevölkerungskreise angekauft und in Österreich stationiert. Jetzt plant Lichal den Ankauf von Raketen, obwohl dies im Staatsvertrag von 1955, der Österreichs Neutralität festlegte, verboten ist. Neben Aufrüstung ist eines der„Hauptziele Lichals, das Milizsystem, das in den siebziger Jahren unter SPÖ-Verteidigungsministern eingeführt worden war, abzuschaffen. Im Visier hat er außerdem das Raumverteidigungskonzept des Milizheeres aus den späten siebziger Jahren. Es beruht auf der Strategie, viele kleine, voneinander unabhängige Kampfgruppen einzusetzen, die in einer Art Partisanentechnik dem „Agressor“ den Durchmarsch und die Besetzung Österreichs erschweren sollen. Mit Lichals neuem Konzept „Heeresgliederung 87“ soll von diesem Raumverteidigungskonzept abgerückt werden. Österreichs Sicherheitspolitiker der Wende streben die Rückkehr zu einigen wenigen Großraumeinheiten an, die Rückkehr zur Strategie der „großen Entscheidungsschlacht“ im Donauraum. Damit werden die österreichischen Truppen zu einem von NATO -Strategen als nötig erachteten „Flankenschutz“ für die NATO -Gruppe Mitte.

Die schleichende Einstellung auf NATO-Erfordernisse beinhaltet die Aufstockung einiger Einheiten zu Großeinheiten. Sie unterliegen nicht dem Sparprogramm, das Lichal seit 1986 fahren muß. Im Rahmen des Austeritätsprogramms der SPÖ/ÖVP-Koalitionsregierung war das Verteidigungsbudget von 2,5 Milliarden (1986) auf 2,3 Milliarden (1988) Mark gekürzt worden. Die geplante Aufstockung des gesamten Bundesheeres von 242.OOO auf 385.OOO Mann konnte daher bisher noch nicht durchgeführt werden.

Während selbst heeresinterne Kritiker nicht mehr bestreiten, daß alle diese Neuerungen der Wende „strategischen Überlegungen der NATO entgegenkommen“, weicht Armeekommandant Phillip einer Antwort aus. Österreichs Neutralität sei 1955 im Staatsvertrag fixiert worden, betont er. Dann meint der Armeekommandant: „Es ist egal, aus welcher Richtung der Feind kommt.“ Doch der Sprecher des Verteidigungsministers, Rettenmoser, hält mit seiner Interpretation der österreichischen Neutralität nicht hinter dem Berg. Für ihn ist der Warschauer Pakt „von vornherein aggressiv, auf Expansion ausgerichtet“. Dagegen sind die Alpenübergänge zu den NATO-Staaten BRD und Italien nur schwach mit Truppen besetzt. Luftraumverletzungen durch NATO -Flugzeuge, die sich nicht die Mühe eines Umwegs über Frankreich machen, sind an der Tagesordnung.

„Es gibt sicher kein schriftlich fixiertes Konzept für die NATO-Annäherung Österreichs“, meint der Heereskritiker und Journalist Christoph Panreiter aus Wien. Dennoch lasse sich an der jüngsten Entwicklung ablesen, daß sich diejenigen Kräfte im Heer stärker durchsetzen, die dem Neutralitätsgedanken noch nie etwas abgewinnen konnten. Denn die Zusammenarbeit mit der NATO hat fast schon Tradition: Österreichische Offiziere werden an US-Militärakademien ausgebildet. Das Radarsystem „Goldhaube“, seit über zehn Jahren in Betrieb, versorgt über den Umweg der zivilen Luftraumkontrolle das NATO-Frühwarnsystem NADGE mit Daten.

Der Anschluß Österreichs an die EG steht in absehbarer Zeit ins europäische Haus. Vom Anschluß an die NATO redet im Moment fast niemand. Lichals Sicherheitspolitk der Wende schafft jedoch Tatsachen, die die Eingliederung Österreichs in die NATO erleichtern werden.