„Neue Wege gehen“

Gerd Billen, von Beruf Ernährungswissenschaftler, ist Sprecher der „Verbraucherinitiative e.V.“ in Bonn  ■ I N T E R V I E W

taz: Klaus Matthiesen erklärt inzwischen nicht mehr, er werde weiter Kalbfleisch essen. Wegen des Hormonskandals komme er gar nicht mehr dazu und nehme ab. Was rät die Verbraucherinitiative denen, die mehr Zeit haben und gern Kalbfleisch essen?

Gerd Billen: Denen kann ich im Moment nur abraten, weil niemand weiß, welche Kälber hormonbehandelt sind und welche nicht. Die KalbfleischfreundInnen sollten zunächst mal zurückstecken.

Bleibt also nur die Wahl zwischen Verzicht und Risiko?

Richtig. Dabei bedeutet auch das Umsteigen auf andere Fleischarten nicht unbedingt Risikofreiheit. Was bei Kälbern geschieht, passiert ähnlich auch bei der Schweine- oder Rinderhaltung.

Euer Ziel ist es nicht nur, aufzuklären, sondern auch dafür zu sorgen, daß verseuchte Nahrung nicht mehr auf den Tisch kommt. Was können die Konsumenten selbst tun?

Die Verbraucher müssen Abschied nehmen von der Illusion „Billigfleisch“ und davon, daß eine Fleisch-Massenproduktion auch ernährungs-physiologisch vernünftig sein kann. Dieser erneute Hormonskandal birgt sowohl für die Landwirte, als auch für die Verbraucher die Chance, neue Wege zu gehen, beispielsweise in der Vermarktung.

Wie könnte das aussehen?

Es gibt jetzt ein gemeinsames Projekt von Tierschützern, Umweltschützern, Verbraucherinitiativen und den kritischen Bauern der „Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft“. Wir haben ein Markenzeichen „Art- und umweltgerechte Schweinehaltung“ erarbeitet. Man sollte auf diesem Weg weitergehen und sich auch für andere Nutztierarten zusammen überlegen: Wie muß die Haltung aussehen, wie muß die Qualität sein, wie kann die Kontrolle gewährleistet werden.

Diese Bemühungen sind ja nur einem relativ begrenzten Kreis interessierter Leute bekannt. Wie kann sich das ändern?

In den vergangenen Tagen haben sehr viele VerbraucherInnnen angerufen und gefragt, was kann man noch für Fleisch essen und wo kriegt man das. Auf der anderen Seite gibt es viele Bauern, denen diese Chemiearbeit selbst stinkt. Es kann Aufgabe von Verbraucher-, Erzeugergemeinschaften und Umweltgruppen, vielleicht auch von Bioläden sein, Hersteller und Verbraucher an einen Tisch zu kriegen. Vor allem auf der lokalen Ebene muß eine Vernetzung stattfinden.

Kann man mit dem verseuchten Fleisch etwas anderes tun, außer es zu Schuhcreme oder Hundefutter zu verarbeiten?

Olympia steht ja vor der Tür. Vielleicht bietet sich den SportlerInnen die Möglichkeit einer kompakteren Form der Nahrungsaufnahme.Interview: Gerd Rosenkranz

Kontakt: Verbraucherinitiative e.V., Breite Straße 51, 53 Bonn 1, Tel.: 0228/659044