: HOLZ UND FLEISCH
■ Das Puppentheater Wroclaw spielt den „Prozeß“ nach Kafka
„Den Tag über im Amt, abends in Gesellschaft, in der Nacht auf den Gassen, und nichts übers Maß. Eine in ihrer Natürlichkeit schon grenzenlose Lebensweise.“
Der das schrieb, Franz Kafka, wird immer noch meist ganz in Schwarz, dem Symbol geschwind formulierter Floskeln von Einsamkeit, metaphysischem Sinnverlust usw., aufgeführt. Auch das polnische Puppentheater Wroclaw spielt nicht nur mit Puppen, sondern auch mit Schauspielern in Schwarz und zeigt dabei einen sehr christlichen „Prozeß“. Die Josef-K. -Puppe sieht aus wie ein Ikonenjesus und spricht - polnisch
-warm, nachdenklich, den religiösen Geheimnissen des Slawentums verhaftet, ein wenig resigniert. Die Frauengestalten - Fräulein Bürstner und Leni - werden zur ewigen Eva oder zur Jungfrau Maria hochstilisiert, mal von einer braungebrannten erotischen Schauspielerin im schwarzen Dessous dargestellt, die die Hand der Josefspuppe an ihre Schenkel führt, mal von einer Puppe, deren Kleid nach erotischen Annäherungen K.s herabfällt und dabei Gipsbrüste und einen aufgerissenen, im Inneren rotleuchtenden Bauch freigibt, der K. in einer Art umgekehrtem Wehen ansaugt.
In einer Traumsequenz fällt der Himmel. Gipserne Götter oder Richter verkünden Vorläufiges. Das Schwarz der Vorhänge und Hintergründe changiert in verschiedenen Grautönen. Der Reiz der Advokatendienerin lenkt K. von seinen Bemühungen um eine Verbesserung der eigenen Lage ab. Aber auch der Eros ist nicht unschuldig - rot leuchten die Häute fröschern zwischen Lenis Fingern.
Im „Prozeß“ erzählt ein Priester dem Angeklagten K. ein Gleichnis zur Deutung seiner Lage. Diese Passage nimmt auch im Theater eine Schlüsselstellung ein: Anstatt daß der Suchende durch die Tür, am riesenhaft maskenbewehrten Türhüter vorbeigeht, fügt er sich vor dem Gesetz schon Regeln, die erst unter dem Gesetz gelten. Der Suchende stirbt, wie später auch K. im Roman, unschuldig-schuldig, abgeschlachtet „wie ein Hund“. Im Theater stirbt er als Schauspieler, abgeführt mit der leblosen Puppe im Arm.
Überaus schön an diesem Theater sind die Puppen mit ihren beweglichen leuchtenden Augen und sprechenden Mündern. Totenbleich sie alle, außer K., Masken vor hölzernen Köpfen oder gesichter auf Totenschädeln. Anders als im Marionettentheater ist der, der die Puppe führt, immer auch sichtbar, steht manchmal neben, manchmal hinter ihr oder verbindet sich mit der Puppe, wenn nicht die hölzerne Hand, die die Peitsche in der Folterszene hält, sondern der menschliche Arm im Gewand der Puppe drauflosdrischt. Im Spiel gibt es so immer zwei: die „beseelten“ Dinge (Figuren), die einen anschauen, und den Schauspieler, der, auch wenn er sich am Ende verbeugt, in keiner höheren Spielordnung steht als die Puppe.
„Gegen zwölf Uhr standen schon einige Leute auf, verbeugten sich, reichten einander die Hände, sagten, es wäre sehr schön gewesen.“
Detlev Kuhlbrodt
Das Puppentheater Wroclaw spielt noch vom 18. bis 20.August um 20 Uhr im Künstlerhaus Bethanien „Gyubal Wahazar“ von Witkiewicz, diesmal auf deutsch.
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