Spannungen

■ Zum Verhältnis von SPD und Gewerkschaften

Das Verhältnis zwischen Sozialdemokratie und Gewerkschaften war nie unproblematisch. In den Spannungen zwischen den beiden Zweigen der traditionellen Arbeiterbewegung spiegelten sich zu allen Zeiten nicht nur die sozialen Milieuunterschiede zwischen ihren Funktionären. Beide Organisationen sind in unterschiedlicher Weise den gesellschaftlichen Konflikten ausgesetzt. Während die SPD Regierungsfähigkeitanstrebt, können die Gewerkschaften ihre Position als gesellschaftliche Oppositionsbewegung trotz aller Mitbestimmung nie ganz hinter sich lassen, wenn sie nicht ihre Basis in den Betrieben verlieren wollen.

Auch die aktuellen Spannungen zwischen SPD und Gewerkschaften haben mit dieser unterschiedlichen Form politischer Rückversicherung zu tun. Eine politische Identität wie während der Anfangszeit der sozialliberalen Koalition hat es nicht mehr gegeben. Auch nach der Wende wurde der Graben, den die letzten Jahre der Schmidt –Regierung aufgerissen hatten, nie ganz zugeschüttet. Der Grund liegt in unterschiedlicher Betroffenheit durch den Strukturwandel.

Die SPD ist in den letzten Jahren in das Lager der Modernisierer gewechselt, versucht, der Koalition die neue Angestellten-Klientel abspenstig zu machen. Die Gewerkschaften sind in den Betrieben auch mit den Schattenseiten des ökonomischen Modernisierungsprozesses konfrontiert und vollbringen einen Spagat: Sie müssen die modernen Aufsteiger mit ihrer Kompetenz und ihrer Schlüsselstellung im Produktionsprozeß gewinnen, ohne die Verlierer des Rationalisierungsprozesses der Ausgrenzung preiszugeben. So kommt es, daß die SPD-Vordenker von Modernisierung schwärmen, während die Gewerkschafter immer noch altmodisch auf die Herrschaftsverhältnisse im Betrieb hinweisen. Eine Wiederannäherung zwischen Sozialdemokraten und Gewerkschaftern ist vorerst nicht in Sicht.

Martin Kempe