Grenzterror in Rumänien

■ Flüchtlinge von rumänischen Soldaten erschossen / Abschreckungsaktionen in rumänischen Dörfern

Berlin (taz) - Rücksichtsloser Schußwaffengebrauch rumänischer Soldaten, der bereits mehrere Menschenleben gekostet hat, kennzeichnet die Situation an der rumänisch -ungarischen Grenze. Gleichzeitig wird die Lage der Landbevölkerung, die von dem Dorfbereinigungsprogramm des Diktators Ceaucescou bedroht ist, immer verzweifelter.

Nach übereinstimmenden Berichten sind an der Grenze mehrere Frauen, Männer und Kinder erschossen worden. Weiterhin wird berichtet, daß ein sowjetischer Soldat einen rumänischen tötete, als dieser auf ungarisches Gebiet vordrang. Der Schußwaffengebrauch des sowjetischen Soldaten wurde auf eine Panikreaktion zurückgeführt.

Paul Christiani, ein Vertreter der katholischen Friedensbewegung Pax Christi, der die Situation von ungarnstämmigen Rumänienflüchtlingen untersuchte, und Istvan Szent-Ivanyj, einem Budapester Mitarbeiter des privaten Hilfskommitees für Siebenbürgenflüchtlinge, liegen verschiedene Augenzeugenberichte vor. Paul Christiani schildert den Fall einer 37jährigen Flüchtlingsfrau, die schon bei einem ihrer ersten, mißlungenen Fluchtversuche gesehen hatte, wie eine Frau und deren Tochter von Soldaten eschossen wurden. Als sie am 4.August die Grenze zusammen mit einem jungen Pärchen überquerte, verfolgte sie ein rumänischer Soldat mit einem Schäferhund bis auf ungarisches Gebiet. Dort erschoß er die junge Frau.

Christiani und Szent-Ivanyj wurde von grausamen Abschreckungsaktionen in den rumänischen Grenzdörfern berichtet. Laut Szent-Ivanyj wurde die Bevölkerung mehrerer Dörfer mit Lautsprechern von Fortsetzung auf Seite 6

Kommentar auf Seite 4

FORTSETZUNGEN VON SEITE 1

Lastwagen aus zusammengerufen, um im Zentrum des einen Dorfes die Leichen zweier auf der Flucht erschossener Jungen zu identifizieren. Die Gesichter der Jungen waren jedoch bis zur Unkenntlichkeit verstümmelt.

Christiani zufolge gilt es unter der Zivilbevölkerung der Grenzdörfer als sicher, daß die Militärs für besonders grausames Vorgehen mit erhöhten Rationen belohnt werden. Christiani hörte von nächtlichen Razzien, bei denen die Dorfbewohner aus ihren Häusern getrieben und besonders die Kinder mit Gewehrkolben geschlagen würden, um möglicherweise versteckte Flüchtlinge zu verraten. Schon seit Jahren ist die Unterversorgung mit Lebensmitteln in diesen Dörfern besonders krass. Die meisten der hier erwähnten Dörfer sollen der vom rumänischen Staatschef Ceausescou beschlossenen „Systematisierung“ zum Opfer fallen: 8.000 historisch gewachsene Dörfer sollen im Rahmen des Aufbaus von 500 „Agroindustriellen Zentren“ zerstört werden. Die Bewohner sollen in Hochhäuser umgesiedelt werden. Entschädigungen für die landwirtschaftlich genutzten privaten Parzellen, deren Ertrag für die meisten die letzte Lebensreserve bildet, erhalten sie nicht.

Die Flüchtlinge in Ungarn sehen in diesem Projekt einen Anschlag auf ihre nationale Identität. Der großen Mehrheit war es schon in den letzten Jahren nicht mehr möglich, ihre Kinder in ungarische Kindergärten und Schulen zu schicken. Paul Christiani setzte sich mit Vertretern der ungarischen Presse in Verbindung und mit mehreren katholischen Basisgruppen sowie den Organisationen Fides und SOS Transsilvania, die am 23.Juni in einer großen gemeinsamen Demonstration auf die Lage der Ungarn in Rumänien aufmerksam gemacht hatten. Christiani betonte, daß er zu seinen Aussagen von diesen Gruppen ausdrücklich beauftragt worden sei. Außerdem habe man ihn gebeten, das allgemeine Befremden auszudrücken, das Bundesaußenminister Genschers Plan ausgelöst habe, deutsche Siedler aus Rumänien durch ein Kopfgeld von 8.000 bis 12.000 DM pro Person freizukaufen. Man erblicke darin einen politischen und menschlichen Verrat an den nationalen Minderheiten in Rumänien.