Ein Seefahrerdorf schippert in die Pleite

Die Traditionswerft Lühring in Kirchhammelwarden an der Unterweser meldete Konkurs an / 160 Werftarbeiter seit Juli ohne Lohn / Auch die Entwicklung eines weltweit anerkannten Öl-Auffangsschiffes verhinderte Pleite nicht  ■  Von Michael Weisfeld

Bremen (taz) - Hinterm Deich, inmitten der kleinen, strohgedeckten Häuser, liegen Kirche und Friedhof, vorm Deich, mit hohen Spundwänden gegen das Hochwasser geschützt, die 120 Jahre alte Lühring-Werft. Kirchhammelwarden heißt das Seefahrerdorf an der Unterweser. Zwar ist es schon seit Jahren in die Kreis-und Hafenstadt Brake eingemeindet, aber die Leute hier verstehen sich nach wie vor als Kirchhammelwardener. Seit einigen Wochen geht die Sorge um: Was wird aus der Werft? Anfang August meldete Geschäftsführer Claus Lühring beim Amtsgericht Konkurs an.

Schon für den Juli hat er an seine 160 Arbeiter keinen Lohn mehr gezahlt. Dennoch geht die Arbeit weiter: Im Trockendock wird das alte, verbeulte Küstenmotorschiff „Island“ überholt. In der „Bilge“, dem doppelten Boden des Schiffes, kriechen die Schweißer und bessern die Blechplatten aus. „Akkord und Überstunden machen wir“, sagt einer. „Weil der Dampfer morgen mittag raus muß. Alles ohne einen Pfennig Geld.“

Wer kein dickes Sparbuch hat, mußte in den vergangenen Wochen sein Lohnkonto überziehen. Aber auch das ist nicht immer möglich: „Wenn einer von der Lühring-Werft kommt, geht der Bankschalter zu“, sagt Betriebsratsvorsitzender Hans Aussel. Denn: Ob die Werftarbeiter ihre Konten wieder ausgleichen können, steht noch in den Sternen.

Daß ausgerechnet er das nächste Opfer der nun bald 15 Jahre dauernden Schiffsbaukrise werden soll, erbittert Geschäftsführer Claus Lühring. Denn seine kleine Werft hat sich schon vor zwölf Jahren für einen Markt mit Zukunft spezialisiert, auf den Kampf gegen die Ölpest auf See. Im Konstruktionsbüro auf dem Kirchhammelwardener Deich entstanden die Pläne für effektiv arbeitende Öl -Auffangschiffe zur Bekämpfung der Ölpest auf See. Der Prototyp „Thor“ wurde 1981 fertiggestellt. Das Prinzip der Lühring-Ölfänger: Ihr Rumpf wird auf See auseinandergeklappt, bis zu einem Winkel von 65 Grad. Zwischen den beiden Teilrümpfen wird der Ölteppich zusammengeschoben und dann in die Tanks des Schiffes gesaugt. In Kiel und in Wilhelmshaven ist bei der Bundesmarine jeweils ein Lühring-Ölfänger stationiert. Die staatlich-mexikanische Ölgesellschaft „Pemex“ setzt eines der Lühring-Schiffe gegen die Ölpest im Bohrgebiet des heimischen Golfs ein.

Mit der Entwicklung der Ölfänger habe seine Werft rechtzeitig auf die Schiffsbaukrise reagiert, meint Claus Lühring. „Mehr kann man von so einer kleinen Werft nicht verlangen.“ Dennoch stehen die beiden Helgen leer, seit Mitte Mai das Öl-Auffangschiff „Ewersand“ an die Bundesmarine abgeliefert worden ist. Über ein weiteres Schiff, das in der Elbmündung stationiert werden soll, berät der „Ölunfall-Ausschuß Seeküste“ am kommenden Montag in Bremen. Dort treffen sich Umweltbürokraten der vier Küstenländer und des Bundes. Mit einer politischen Entscheidung wird allerdings nicht vor Ende des Jahres gerechnet. Dann kann es für die Lühring-Werft schon zu spät sein.

Am Freitag vergangener Woche war im Betriebsratsbüro Hochbetrieb. Die Kollegen kamen mit ihren „Abtretungserklärungen“ herein und ließen sich noch einmal erklären, was es damit auf sich hat: Mit diesem Stück Papier treten sie ihre Lohnansprüche, die sie an die Lühring-Werft haben, an eine Bank ab, in der Hoffnung, daß diese ihnen dann den ausstehenden Lohn vorschießt. Die Bank soll sich das Geld von Lühring zurückholen, wenn dieser wieder zahlungsfähig wird. Wenn die Werft jedoch unter den Hammer kommt, muß sie auf die Konkursmasse zurückgreifen. Auf Anraten ihrer Betriebsräte haben alle Arbeiter diese Erklärungen unterschrieben. Nur: Der Name der Bank ist auf den Formularen nicht eingetragen, weil der Betriebsrat noch keine gefunden hat, die den Lühring-Arbeitern ihren Lohn vorstrecken will.

Schiffsbau und Seefahrt sind auf den Dörfern nahe der Wesermündung als Erwerbsquellen noch weitaus wichtiger als in den großen, industriellen Hafenstädten. Einer der letzten Aufträge für die Lühring-Werft kam aus Rodenkirchen, einem Dorf, das wenige Seemeilen stromabwärts von Kirchhammelwarden liegt. Die dort ansässige Reederfamilie Stutz ist ebensolange im Geschäft wie die Lührings. Wenn Stutzens Schiffe bauen ließen, dann fast immer bei Lührings: Im vorigen Jahrhundert Frachtsegler aus Holz, dann die heute noch berühmten „Lühring-Schoner“, dreimastige Lastensegler aus Stahl. 1984 bestellten die Stutz-Brüder zwei Küstenmotorschiffe für sechs Millionen Mark das Stück. „Das war eine Stimmung, damals, als die bei Lühring Arbeit kriegten“, erinnert sich Harry Stutz heute. Fast vier Jahre kreuzten die beiden Rodenkirchener Kapitäne damit durch Nord - und Ostsee. Dann holte die Krise sie ein: Sie konnten die Kreditraten an die Bremer Landesbank nicht mehr bezahlen. Jetzt liegen ihre Schiffe nebeneinander im Hafen von Rotterdam an der Kette. Ende August sollen sie zwangsversteigert werden.