„Das finde ich heute noch unverantwortbar“

Interview mit dem ehemaligen Landwirtschaftsminister des Landes Nordrhein-Westfalen, Hans-Otto Bäumer (SPD)  ■ I N T E R V I E W

taz: Herr Bäumer, Sie erklärten Nordrhein-Westfalen 1981 nach dem ersten Hormonskandal für „östrogenfrei“. Etwas vorlaut?

Bäumer: Das war etwa ein Jahr nach dem Höhepunkt der Auseinandersetzung um die Babynahrung. Damals hatten wir bereits ein halbes Jahr kein einziges Kälbchen gefunden, das mit Östrogen belastet war.

Da hat sich inzwischen offenbar wieder einiges geändert. In der Folge des damaligen Östrogen-Skandals wurde das Tierarzneimittelgesetz geändert. Seit Anfang des Jahres ist eine EG-Richtlinie in Kraft, die der Hormonmast europaweit den Garaus machen soll. Ist das erfolgversprechend?

Man muß das eine tun und darf das andere nicht lassen. Die gesetzlichen Grundlagen sind eine entscheidende Ausgangsbasis. Aber natürlich muß man die Großmäster als Bestandteil einer industriell angelegten Agrarfabrikation zurückdrängen. Langfristig muß man wieder zum bäuerlichen Familienbetrieb und artgerechter Viehzucht zurückkommen.

Sie haben zu Ihrer Zeit als Minister für Nordrhein-Westfalen ein engeres Kontrollnetz angekündigt. Was ist daraus geworden?

Hier sprechen Sie einen wunden Punkt an. Ich muß zugeben, daß auch mir gegen Ende meiner Amtszeit 1983 unter dem Stichwort Entbürokratisierung Grenzen verpaßt wurden. Die halte ich auch heute noch nicht für verantwortbar. Der Kompromiß einer hartnäckigen Auseinandersetzung mit dem Ministerpräsidenten (Rau, d. Red.) und seinem Chef der Staatskanzlei (Heute: Justizminister Krumsiek) lief darauf hinaus, daß die kommunalen Untersuchungsämter zunächst probeweise nur noch am lockeren Zügel meines Ministeriums hingen.

Das Ergebnis war eher eine Lockerung als eine Verschärfung?

Ja. Ich halte das heute noch für einen grundsätzlichen Fehler.

Hat Ihr Nachfolger, Klaus Matthiesen, versucht, diesen Fehler zu korrigieren?

Natürlich hat er das versucht. Aber ich muß einräumen, daß in der Hinsicht die Zeiten nicht besser geworden sein dürften.

Nach unseren Informationen war man sich im Hause Matthiesen der unzureichenden Kontrolldichte durchaus bewußt. Im Oktober 1987 hat ein hoher Beamter aus dem Umweltministerium zugestanden, daß das Raster bei den Kontrollen im Lande nicht dicht genug sei und die Ergebnisse zu spät die zuständige Behörde erreichten.

Auf dieses Problem bin ich wiederholt hingewiesen worden. Gerade in den letzten Tagen hat sich ein beamteter Tierarzt beklagt, daß in seinem Kreis ein einziger Tierarzt mit nur einer Hilfskraft mehr als 900 Tierhaltungen in mehr als 700 Betrieben zu kontrollieren habe. Noch schlimmer ist, daß derselbe Mann am selben Tag, unmittelbar nach der Aufdeckung des Skandals, erklärt, daß in genau diesem Kreis die Fleischkontrolle vollständig sichergestellt sei. Das ist eben Theorie und Praxis.

Ist also die Kritik berechtigt, Landesregierung und Umweltminister hätten diesen Skandal verschlafen?

Erstens: Hut ab vor dieser Arbeitsintensität, die Klaus Matthiesen demonstriert. Zudem darf sich in dieser Situation keine Seite dazu verleiten lassen, das zu einer Polit-Show zu machen und den politischen Gegner polemisch herabzusetzen. Es muß die Chance wahrgenommen werden, alles, was an öffentlicher Erregung jetzt erkennbar wird, für eine neue Politik zu mobilisieren.

Sehen Sie Herrn Matthiesen in der bruchlosen Tradition von Herrn Bäumer?

Jeder hat seinen eigenen Stil. Ich habe immer dann sehr stramm auf Konfrontation gesetzt, wenn ich merkte, daß mit Schuldzuweisungen gearbeitet wurde, um sich selbst aus der Schußlinie zu bringen. Auch gegenüber dem Bauernverband, gegenüber Herrn Heeremann, halte ich in diesem Zusammenhang nichts von einem Schmusekurs. Die Bauernfunktionäre verstehen nur eine Sprache, das ist der Tritt vorn Bauch. Ich werde hellwach und richtiggehend nervös, wenn glückstrahlend die Nachricht verbreitet wird, daß Bauernverband und Umweltminister sozusagen untergehakt gemeinsame Strategien verkünden. Da habe ich vor dem Hintergrund meiner Erfahrungen große Bedenken.

Was werfen Sie den Bauernfunktionären konkret vor?

Die Bauernfunktionäre tragen durch ihre jahrzehntelange Abwiegelungspolitik und Lobbytour zugunsten der Großbauern selbst dazu bei, daß ihre Klientel existentiell vor die Wand saust. Die Moral dieser Bauernpräsidenten wird doch schon dadurch klar, daß Heeremans Stellvertreter von mir öffentlich verlangt hatte, ich solle doch mal ein östrogengeschädigtes Baby vorzeigen.

Haben die recht, die sagen, die industrialisierte Landwirtschaft sei der Kern des Problems? Die Bauern seien als letztes Glied der Kette gezwungen, die Praktiken mitzumachen, um überleben zu können?

Nein. Bei jemandem, der ein eigenes Dach überm Kopf hat und mit soundsoviel Hektar wertvollen Landes im Grundbuch vertreten ist, kann ich nicht in Tränen ausbrechen. Für mich ist der Maßstab der Sozialhilfeempfänger. Wer solche Tierfabrikhallen ungerührt übersteht, muß Hornhaut auf der Seele haben. Die Umkehr kann man da nur einleiten, indem man schonungslos anprangert.

Was raten Sie den Beamten aus Bund und Ländern, die am Donnerstag in Bonn über das weitere Vorgehen entscheiden wollen?

Eine solche Sitzung hat es vor acht Jahren schon einmal gegeben. Damals gipfelte das darin, daß man künftig nur noch dann informieren wolle, wenn es gelte, eine unmittelbar drohende Gefahr abzuwenden. Das habe ich damals für unverantwortlich gehalten und tue das heute noch. Ich wünsche der Zusammenkunft morgen, daß man aus der Vergangenheit lernt und an einem Strick zieht.

Interview: Gerd Rosenkranz