Wer Wanzen hat, kriegt keine Wohnung

■ Eine türkische Familie sollte vor Abschluß des Mietvertrages „Kammerjäger-Attest“ vorlegen / Baugesellschaft: „Ein übliches Verfahren“

Als der türkische Lehrer und Buchhändler Önder U. am 11.August endlich die Zusage für eine neue Wohnung in der Hand hielt, glaubte er seinen Augen nicht zu trauen:

Neben etlichen Bescheinigungen, Beglaubigungen, Erlaubnissen und Bestätigungen verlangte die Hausverwaltung, bevor sie ihm den Mietvertrag über die 100 qm Sozialbauwohnung aushändigen wollte, eine „Kammerjägerbescheinigung“ seiner alten Wohnung zu sehen. Damit sollte er nachweisen, daß er und seine Familie in seiner jetzigen Wohnung weder Wanzen, Ratten, Läuse oder gar Kakerlaken beherbergt.

Das war Familie U. noch nie passiert. Seit 1971 leben sie jetzt in West-Berlin, sind bereits mehrmals umgezogen und zwar ohne bislang ein Kammerjäger-Attest vorlegen zu müssen. Der 40jährige Öner U. fühlt sich diskriminiert und sucht Rat und Hilfe beim Neuköllner Wohnungsamt. Doch dort blitzt er ab. Das könne der Vermieter ohne weiteres verlangen, sagt ihm seine Sachbearbeiterin in Zimmer 114, sie fände das auch nicht so schlimm.

Von einer Diskriminierung könne keine Rede sein, meint auch die Wohnungsbaugesellschaft Heymann und Kreuels, der das Haus Weserstraße 178 gehört, in das Öner U. mit seiner Frau und den beiden Kindern einziehen wollte. „Wir verlangen die Kammerjägerbescheinigung bei allen unseren Mietern“, sagt eine Mitarbeiterin. Man wolle sicher gehen, daß eventuelle Schaben nicht mit den Möbeln in die neue Wohnung gelangten. Mit der Nationalität der Mieter habe das überhaupt nichts zu tun. Überhaupt sei das allgemein - wie bereits gesagt „üblich“, bemühte sie sich, den Vorwurf, es könne sich hier um einen Fall von Ausländerfeindlichkeit handeln, auszuräumen.

Doch die Abschreibungsgesellschaft Heymann und Kreuels, denen auch das Haus Reichenberger Straße 63 in Kreuzberg gehört, sind mit dieser fast mittelalterlichen Praxis allein. Weder die großen Wohnungsbaugesellschaften GeWoBAG und GSW verlangen die Ungezieferbescheinigung, noch ist dieses Relikt aus Zeiten vor dem Ersten Weltkrieg privaten Wohnungsbauträgern bekannt. Eine Stichprobe bei Hausverwaltungen ergab nur erstaunte oder belustigte Reaktionen bei der Frage nach der Kammerjägerbescheinigung.

Auch der Mieterverein hörte zum ersten Mal von einem solchen Ansinnen. „Ein völlig einmaliger Fall“, hieß es gestern. Ob die Heymann und Kreuels bei den entsprechenden Bezirks- und Senatsstellen mit dieser Praxis bereits aufgefallen ist, konnte gestern leider nicht mehr recherchiert werden: Bereits kurz nach 15 Uhr war kein Zuständiger mehr zu erreichen.

Für die Alternative Liste ist jedenfalls eines klar: Bauträger, die im sozialen Wohnungsbau Millionen verdienten und sich Mietern gegenüber in dieser Weise „rassistisch“ und „diskriminierend“ verhielten, sollten keine öffentlichen Gelder mehr bekommen. Für die Fraktion forderte gestern Volker Härtig, Heymann und Kreuels sofort alle Subventionen zu streichen.

Önder U. und seine Frau haben indes andere Sorgen. Sie wohnen mit ihren beiden Kindern in zwei Zimmern und suchen seit fünf Jahren eine größere Wohnung. Jetzt so kurz vor dem Ziel zu stehen und dann mit der erniedrigenden Bedingung eines „Kammerjägerattests“ konfrontiert zu werden, stellt ihren Stolz und ihre Nerven auf eine harte Probe.

bf