Kleinkunst und Krieg

■ Ein Kambodscha-Monolog von Spalding Gray

In Roland Joffes Kambodscha-Streifen „The Killing Fields“ hatte der Schauspieler Spalding Gray nur eine kleine Rolle. Er spielte einen amerikanischen Botschaftsangestellten, der einmal sagen muß: „Ein Fehler im Computer hat die falschen Koordinaten ausgedruckt. Scheint so, als ob eine einzelne B -52 sich über Neak Luong geöffnet hat. Da gibt es eine Zielmarkierung mitten in der Stadt. Prüfen Sie das nach, Sid.“ Bei der Evakuierung von Phnom Penh steigt der Angestellte dann in einen Hubschrauber und fliegt davon.

Soweit die Rolle. Was man im Film kaum wahrnimmt, bekommt in Spalding Grays Bericht über die Dreharbeiten eine völlig andere Dimension. Für die erste Szene waren 66 takes nötig, weil Gray sich ständig versprach. Er hatte einen Kater von der Kiff-Party am Vorabend. Vor allem aber konnte er sich zu den Begriffen Fehler im Computer/falsche Koordinaten/einzelne B-52/Neak Luong/Zielmarkierung einfach keine adäquaten Vorstellungen machen. Die Szene klappte erst, als er begriff, daß der Kamera seine Vorstellungswelt egal ist. In Neak Luong hatten die Amerikaner übrigens, sozusagen aus Versehen, eine halbe Stadt ausgelöscht.

Der Anspruch auf gedankliches Ausfüllen der Rolle hat wahrscheinlich mit Grays Herkunft aus New Yorks freier Theaterszene zu tun. Solche Leute sind zäh. „Nach Kambodscha schwimmen“ ist nichts weniger als der Versuch, das Großprojekt Film wieder zu Kleinkunst zu verarbeiten. Keine Schauspielermemoiren üblichen Stils also, sondern die schriftliche Fassung eines Monologs aus Fakten, Reflexionen, Erinnerungen und Episoden, wie Gray ihn sich in 200 Performance-Abenden erarbeitet hat.

Daß seine Kleinkunst die politischen Geschehnisse in Kambodscha nicht einholen kann, gesteht schon der Titel zu. Ihr Witz liegt woanders: in der Rekonstruktion des weißen, protestantischen, liberalen amerikanischen Durchschnittsbewußtseins, dem der britische Regisseur bei Beginn der Dreharbeiten erstmal die Rolle seines eigenen Landes in Kambodscha beibringen muß. In seinem Monolog spielt Spalding Gray diesen Typ, 42jährig und von Schuldgefühlen geplagt, und doch einer, dem der GI im Zugrestaurant prompt erzählt, was er von den Russen hält, wie seine Sexualpraktiken aussehen und was der Job auf der Raketenbasis alles so mit sich bringt. Einfach weil er ihn an den Klassenschwächling von damals erinnert. Die Komik des ganz normalen Wahnsinns steigt aus solchen Szenen auf. Man begreift plötzlich, was Bugs Bunny mit Eugene Hasenfuß verbindet und warum Nixon seine zusammen mit Bob Haldeman ausgeheckte Kriegstaktik „Madman-Theorie“ nannte. Währenddessen amüsierte die amerikanische Öffentlichkeit, daß Lon Nol, Prinz Sihanouks Nachfolger, rückwärts buchsstabiert Lon Nol hieß.

„The Killing Fields“ wurde in Thailand gedreht, gleich nebenan von Kambodscha. Die Schauspieler wohnten in eingezäunten Hotels, ließen sich „Kloster„-Bier servieren oder verwandelten sich in Sextouristen. Wenn sie nicht gerade Krieg spielten: „Ich stieg also in den Hubschrauber, er machte Brrrrrr und stieg hoch. Hoch über diesen unglaublichen Dschungel. Ich fühlte mich, als wäre ich in einem Film, in Apocalypse Now, und dann wurde mir bewußt, daß ich ja in einem Film war! Ich wurde gefilmt und hatte keine Angst, obwohl die Tür weit offen war und ich runterschaute. Craig T. Nelson fiel praktisch aus der Tür wir hatten keine Sicherheitsgur te -, aber ich hatte plötzlich kei ne Angst, weil die Kamera den Raum eben erotisiert. Sie schützt dich wie Colgate Fluor S. (...) Wir stiegen sechsmal hoch, und das Gefühl war erhaben. Ich konnte den Chao Phrayer Fluß sehen und erkennen, mein Gott, wieviel Gelände der Film unter Kontrolle hatte! 32 Quadratkilometer Tschai-Dschungel; den ganzen Fluß herauf warfen Thai-Bauern Gummireifen ins Feuer, damit es wie Krieg aussah, und ich dachte: Natürlich, Kriegstherapie!„

Wo der Krieg ist und wo man überhaupt ist, wird immer unklarer: „Plötzlich war Mittagspause. Wir setzten uns alle zusammen an einen Tisch, mit den Thai-Bauern, die völlig blutverschmiert waren.“ Zwischen den Drehterminen taumelt Gray durch Thailand und kann sich nicht darüber klar werden, ob er sich nach Vietnam durchschlagen oder an einem dieser Bounty-Traumstrände langsam verrückt werden soll.

Nachdem er doch in die USA zurückgekehrt ist, fliegt er konsequenterweise nach Hollywood, um endlich berühmt und ein richtiger Schauspieler zu werden.

Thomas Groß

Spalding Gray: Nach Kambodscha schwimmen. Kiepenheuer & Witsch. Köln 1988. 150 Seiten, 14,80 Mark