Streikwelle in Polen

Streiks in Werften und Kohlezechen / Neben Lohnerhöhung verlangen die Streikenden Wiederzulassung von Solidarnosc / Polnische Vereinigte Arbeiterpartei verurteilt Streiks als schädlich und erpresserisch  ■  Von Klaus Bachmann

Berlin (taz) - Die Streiks in Polen weiten sich aus. Nachdem bereits in der Nacht von Montag und Dienstag 4.000 von 9.000 beschäftigten Bergarbeitern der Steinkohlezeche „Manifest Lipcowy“ bei Jastrzebie in Streit getreten waren, schlossen sich am Mittwoch auch ca. 1.000 Hafenarbeiter in Stettin dem Ausstand an und legten den Schiffsbetrieb weitgehend lahm. Zugleich riefen sie in der Stadt zu Solidaritätsstreiks auf. Ihr Aufruf wurde gestern von ungefähr 600 Fahrern der städtischen Verkehrsbetriebe befolgt. Auch mehrere hundert Dockarbeiter haben sich inzwischen am Ausstand beteiligt, wie ein Sprecher der offiziellen Gewerkschaften bestätigte.

In einem Telefongespräch mit afp machte der Bezirkssekretär von Solidarnosc für die Stadt Marian Jurczyk, die Regierung für die sich immer mehr verschlechternden Lebensbedingungen in Polen verantwortlich. Zu den von den streikenden Hafenarbeitern von Stettin und den Bergleuten von Kaczyce und Jastrzebie im Süden Polens formulierten Forderungen Wiederzulassung von Solidarnosc und starke Lohnerhöhungen wolle die Selektionsleitung von Stettin eine weitere Forderung zugunsten des politischen Pluralismus hinzufügen.

Nach Agenturberichten soll die Spätschicht der Zeche „Andalusia“ in Piekary Slaskie bei Katowice ebenso die Arbeit niedergelegt haben wie die Belegschaft einer kleineren, im Bau befindlichen Zeche in Cozle an der Grenze zur CSSR. Auch die Arbeiter des Kupferbergwerks Rudno bei Lubin/Niederschlesien sollen streiken. In Jastrzebie als auch in Stettin wird auch für die Wiedereinstellung von aus politischen Gründen Entlassenen gefordert.

Während jedoch die Hafenarbeiter in Stettin nur Lohnerhöhungen um 50 Prozent fordern, verlangen die Bergleute in Jastrzebie eine Erhöhung auf das Zweieinhalbfache des entsprechenden polnischen Durchschnittslohns. Unter den 21, überwiegend wirtschaftlichen Forderungen in Jastrzebie wird auch die warheitsgemäße Berichterstattung verlangt. Sowohl der Stettiner Streik als auch der Ausstand an der Küste sind von den zuständigen Staatsanwälten für illegal erklärt worden. Im Zusammenhang damit wurden bisher zehn Solidarnosc -Funktionäre festgenommen.

In einer am Mittwoch veröffentlichten Erklärung verurteilte das Politbüro der Polnischen Vereinigten Arbeiterpartei die Streiks als wirtschaftlich schädlich und erpresserisch. Seit Dienstag vormittag ist das Werk in Jastrzebie von starken Polizeikräften umstellt, die alle Versuche, die Streikenden mit Lebensmitteln zu versorgen, verhindern. Die Polizei hat auch zwei Warschauer Solidarnosc-Beratern den Zugang verwehrt.

Obwohl die Parteiführung in einem Kommunique erklärt hat, „Erpressung durch wilde Streiks nicht zu dulden“, wurde in der Zeche Jastrzebie die Nacht durch bis zum Donnerstag morgen zwischen Direktion und Streikkomitee verhandelt. Sowohl die Stettiner Hafenbehörde als auch die Direktion der Zeche „Manifest Lipcowy“ erklärten sich allerdings für den politischen Teil der Forderungen nicht für zuständig. In Warschau trat am Mittwoch der Solidarnosc-Berater Jacek Kuron Gerüchten entgegen, wonach es in der Zeche „Manifest Lipcowy“ zu tätlichen Auseinandersetzungen gekommen sei.

Der Solidarnosc-Vorsitzende und Nobelpreisträgr Lech Walesa machte inzwischen die Regierung für die Streiks verantwortlich. Schuld an den Protesten sei die Tatsache, daß die Wirtschaftsreform zu langsam vorankomme und daß die Gesellschaft daran zu wenig beteiligt werde.