54 Stunden

■ Geiseln, Gangster, Medien und die Polizei

Geiseldrama, Desparados, Sonderkommando, Medienspektakel dieser ganze Schwarm von Sprachhülsen folgte den beiden Bewaffneten und ihren Geiseln ebenso dicht und ebenso gefahrbringend wie die ganze Karawane von Polizeifahrzeugen auf der Autobahn. Medienspektakel? In Gladbeck begann nicht nur eine Flucht vor der Polizei, es begann auch die Flucht in die Medien. Es ist nichts als Zynismus – von Medienkonsumenten und –machern –, wenn die Pressekonferenzen vor dem Bus in Bremen und in der Kölner Fußgängerzone als Gangster-PR abgetan wird. Es ist nichts als Einverständnis mit dem eigenen Zynismus, wenn wir es als Sensationsgeilheit disqualifizieren, was uns bis in die Nacht vor dem Fernsehschirm hielt. Selten ist ein so direktes Hilfeersuchen an Macht und Menschlichkeit der Öffentlichkeit ergangen. Mehr noch: Für einen Moment wurde, in dem Auftritt des einen Geiselnehmers, die Wirklichkeit der Bundesrepublik umgedreht und das Milieu von Gewalt, Elend und Aussichtslosigkeit sichtbar, das auch zur Wirklichkeit gehört. Eine große Stunde der Medien. Und es ist gerade zu befürchten, daß es prompt Anstrengungen geben wird, durch interne Anweisungen oder Gesetzesinitiativen in Zukunft zu verhindern, daß „Geiselgangster“ solche Fernsehauftritte haben können.

Aber es war zugleich auch eine schlimme Stunde der Medien. Was berechtigt einen Fernsehreporter, wenn er die absurd friedliche Situation bei der Bremer Bus- Pressekonferenz schildert, von einer guten Einsatzmöglichkeit eines Sonderkommandos zu schwärmen. In der Kamera die menschliche Szene, im Kopf die GSG 9! Wenn von den Toten geredet wird, dann muß auch von den Mediengangstern geredet werden, die ihren Dienst an der Öffentlichkeit so versehen, daß sie Polizei und Geiselnehmer aufeinanderhetzen. Offenbar treibt sie das schlechte Gewissen, von der menschlichen Seite der Geiselnehmer zuviel übermittelt zu haben, dazu, den Sondereinsatz herbeizumoderieren. Die Polizei hat sich jedenfalls beeinflussen lassen.

Die Gründe für die offensichtlichen Widersprüche des Polizeieinsatzes werden erst in den nächsten Tagen klar werden. Aber jetzt schon ist deutlich, daß es da Kompetenzwirrwarr zwischen Tauben und Falken gab. Bei einer so langen Flucht, bei der Bedrohung der Insassen eines ganzen Busses kann nicht nebenher mal versucht werden, eine Komplizin zu verhaften. Das widerspricht einer friedlichen Linie, das widerspricht aber auch der Vorbereitung eines Einsatzes, das entspricht nur der Uneinigkeit. Spätestens seit Bremen war das Thema einer friedlichen Lösung aktuell, spätestens dann, als der eine Geiselnehmer sein „Ich Scheiß Auf Mein Leben“ hinwarf. Wenn sein Leben schon nicht zählte, zählte ab dann das Leben der Geiseln hundertfach. Doch kein ernsthafter Gesprächspartner wurde eingeführt, kein Politiker fühlte sich zu politischem Schutz aufgerufen. Friedliche Lösungen gehören eben nicht zu unseren Optionen. Die Stationen der Flucht wurden mit dem Blick übers Visier analysiert. Ein Blick in das Fernsehen am Donnerstag mittag hätte belehrt, daß die Insassen psychisch auf der Kippe standen. Konsequenz: eine quasi militärische Autobahnabsperrung. 54 lange Stunden deuten auf Kompromiß. hierzulande bedeuten sie offenbar nur: Es muß endlich Schluß sein. Die toten Geiseln von Bremen und Siegburg – sie ergeben sich aus der Logik des ganzen Polizeieinsatzes.

Klaus Hartung