Flugblatt gegen Knäste beschert 129a

Nach Demonstration in Tübingen am Todestag von Ulrike Meinhof Prozeß wegen Unterstützung einer terroristischen Vereinigung angestrengt / Zusammenlegung der Gefangenen aus der RAF gefordert  ■  Von Dietrich Willier

Stammheim (taz) - Eine Demonstration, eine Kundgebung auf dem Tübinger Holzmarkt zum 12.Jahrestag des Todes von Ulrike Meinhof, Flugblätter. Gefordert werden Kollektivität im Knast, die Zusammenlegung von Gefangenen aus der RAF, die Befreiung Gefangener weltweit ebenso wie die Freilassung Günther Sonnenbergs. Das Flugblatt ziert ein schwarzer Stern, eine Faust reckt sich durchs Knastgitter. Eine Tübinger Krankenschwester verteilt die Flugblätter, auch zwei Beamte in Zivil erhalten eins und stecken es weg.

Das war am 9.Mai letzten Jahres. Zwei Monate nach der Demonstration wird die Wohnung von Frau R.-H. aufgebrochen, mit schußbereiten Waffen dringen ca. 20 Beamte des Stuttgarter Landeskriminalamts ein. Frau R.-H. wird aus dem Bett geholt, ihre Wohnung durchsucht. Ein Exemplar des verteilten Flugblatts, Schriften und Literatur zur RAF und Guerilla werden beschlagnahmt.

Gestern vormittag begann vor demselben 5.Strafsenat des OLG Stuttgart der Prozeß. Ca. 80 Prozeßbesucher sitzen in der Stammheimer Justizfestung. Unterstützung einer terroristischen Vereinigung wirft der Staatsanwalt Frau R. -H. vor. Auf Mord, Geiselnahme und Sprengstoffanschläge seien die Ziele der RAF gerichtet und das inkriminierte Flugblatt sei hilfreich und von Vorteil für den Fortbestand der RAF. Außerdem unterstütze es den Kampf der inhaftierten Gefangenen. Vorsitzender Schmid entdeckt noch anderes auf dem Flugblatt: „Soldaten mit Gewehren, sitzende junge Menschen und dahinter Männer mit Stahlhelmen, ein Zitat von Ulrike Meinhof“. Ulrike Meinhof, räsoniert der Richter, sei doch Mitglied der Baader-Meinhof-Bande gewesen, der späteren RAF, das sei doch gerichtsbekannt und offenkundig. Frau R. -H. verweigert die Auskunft, auch ihr Mann, als erster Zeuge gerufen, will sich nicht äußern, Hersteller oder Drucker des Flugblatts sind nicht bekannt.

Bereits Wochen vor jener Tübinger Demonstration hatten Plakate zu einer Wanderausstellung über Isolationszellen in deutschen Gefängnissen und zu Diskussionsveranstaltungen eingeladen, die Tübinger Alternative Liste, die Grünen, Fachschaften der Universität und die Initiative zum Volkszählungsboykott hatten die Demonstration unterstützt.

Gehörten denn die Demonstrationsteilnehmer zur autonomen Szene oder sind es Kommunisten, will der Vorsitzende von einem Polizeizeugen wissen. „Ich nehme an, es sind Sympathisanten der RAF“ (!), meint der Zeuge. Im Prozeßsaal Gelächter und Pfiffe. Aber Frau R.-H., meint er weiter, sei bei der Hausdurchsuchung kooperativ gewesen. Mit einem rechtlichen Hinweis deutet Richter Schmid an, es könne sich bei dem Flugblatt auch um Werbung für eine terroristische Vereinigung handeln. Nur! Der Prozeß wird am kommenden Donnerstag in Stammheim fortgesetzt.