Bundeswehr: wenn die Gefahr von innen droht

Das umstrittene Amtshilfeabkommen zwischen Polizei und Bundeswehr in Sachen Wackersdorf hat etliche Vorläufer / Mit konstruierten Katastrophen- und Unglücksfällen verstößt die Bundeswehr seit Jahren gegen das Grundgesetz und leistet Amtshilfe gegen Demonstranten, Kidnapper und Umweltsünder  ■  Von Vera Gaserow

Berlin (taz) - Reichlich verschreckt müssen Hunderte von Hamburger Autofahrern am 1.Oktober letzten Jahres hinter ihrer Windschutzscheibe gesessen haben, als sie nach halbstündigem Stau im Hamburger Elbtunnel bei der Ausfahrt direkt in ein Panzer-Schußrohr blickten. Was für einen Autofahrer mit einem Schreck und einem Auffahrunfall endete, war nicht etwa die Generalprobe für den Kriegsausbruch, sondern ein Fall der Amtshilfe von Uniform zu Uniform konkret: ein Fall von Amtshilfe der Bundeswehr. Um ein neues Wärmebildgerät zu testen, das beim Ausbruch eines Feuers im Elbtunnel der Feuerwehr freie Sicht ermöglichen sollte, war die Bundeswehr eingesprungen. Sie hatte einen ihrer Panzer vom Typ „Marder“ mitsamt dem neuen Bildgerät in die zuvor künstlich eingenebelte Tunnelröhre geschickt.

Der Panzereinsatz im Elbtunnel ist nur eines von zahlreichen Beispielen für eine „Amtshilfe“ der Bundeswehr im zivilen Bereich, wie sie jetzt im Zusammenhang mit Wackersdorf zu heftigen Diskussionen geführt hat. Denn als Anfang dieses Monats die 'Mittelbayerische Zeitung‘ in Regensburg berichtete, daß gemäß eines Amtshilfeabkommens Hubschrauber und Sanitätsfahrzeuge der Bundeswehr der Polizei bei Demonstrationen gegen die WAA in Wackersdorf zu Hilfe kommen sollen, läuteten auch bei Politikern und Juristen die Alarmglocken. Ein Einsatz der Bundeswehr im Landesinneren, so protestierten beispielsweise Politiker wie Burkhard Hirsch von der FDP und die Arbeitsgemeinschaft Sozialdemokratischer Juristen, ist nach Paragraph 35 unserer Verfassung nur in ganz eng begrenzten Katastrophen- und besonders schweren Unglücksfällen erlaubt. Die aber lägen ja wohl bei Demonstrationen nicht vor.

Tatsächlich jedoch hat sich die Bundeswehr auch in der Vergangenheit schon mit bemerkenswerter Unbefangenheit solche „Katastrophen- und besonders schweren Unglücksfälle“ konstruiert, um im zivilen Bereich mit technischem Rat und soldatischer Tat zur Stelle zu stehen. Im August 1983 zum Beispiel war im niedersächsischen Göttingen der „Katastrophenfall“ schon dadurch eingetreten, daß Protestaktionen der Friedensbewegung gegen die 25-Jahrsfeier der „Panzergrenadierbrigade 4“ ruchbar wurden. „Da die zu erwartenden Störer ihre Kräfte erfahrungsgemäß über CB-Funk führen und die Polizei aufgrund geringer Antennenqualität nicht in der Lage war, diesen Funk im nötigen Umfang aufzuklären,“ hieß es später in einer Stellungnahme des Bundesverteidigungsministeriums, habe ein technisch perfekt ausgestatteter Eloka-Trupp der Bundeswehr beim Abhören der Demonstrationsvorbereitungen ausgeholfen. Der mitgehörte CB -Funk wurde „verzugslos“ an die Polizei übermittelt und zeigte seine Wirkung: „Aufgrund der Aufklärungsergebnisse des Eloka-Trupps konnte die Polizei an mehreren Orten den Einsatzbesprechungen und Aktionen der Störer zuvorkommen“, lautete später der Erfolgsbericht aus dem Bundesverteidigungsministerium. Als rechtliche Grundlage dieser Amtshilfe wurde erneut Artikel 35 des Grundgesetzes angeführt. Als wenig später der SPD Bundestagsabgeordnete Erwin Horn kritisierte, es könne doch nicht angehen, „daß eine offensichtlich unzureichende Geräteausstattung einer örtlichen Polizeibehörde zu einem Einsatz der Streitkräfte im Frieden ohne jede Rechtsgrundlage führt“, bekam er von Staatssekretär Wurzbach im September 1985 eine knappe Antwort: Einem Gutachten, sei zu entnehmen, „daß es der Polizei gestattet ist, (unter Beachtung verschiedener Voraussetzungen) den CB-Funk von Demonstranten mitzuhören. Sie ist somit befugt, ein entsprechendes Amtshilfeersuchen an andere Behörden (sprich die Bundeswehr) zu stellen.“

Zwei Jahres später wollte Staatssekretär Würzbach von diesem Gutachten nichts mehr wissen: Weder das Innen- noch das Verteidungsministerium habe ein entsprechendes Gutachten erstellen lassen, erklärte Würzbach 1987 auf eine Anfrage des Grünen Thomas Wüppesahl.

Nichts mehr wissen will man bei der Bundeswehr auch von einem Vorfall, der sich 1986 im Zusammenhang mit der WAA zugetragen hat. Mit vorgehaltener Pistole hatte damals ein Soldat eine Regensburger Narkoseärztin zum Besteigen eines Sanitätshubschraubers der Bundeswehr gezwungen, der einen schwer verletzten Polizisten in eine Spezialklinik fliegen wollte. Nachdem einige Kollegen des Soldaten sich bei der Ärztin sogar entschuldigt hatten und die Bundeswehr zunächst eingestand, man habe die Medizinerin „in sehr dringender Form“ zum Mitflug aufgefordert, hieß es einen Tag später nur noch, der Soldat habe nicht gedroht, sondern die Pistole von einer Brusttasche in die andere gesteckt.

Aber nicht nur bei dem „Katastrophenfall“ Demonstration steht die Bundeswehr der Polizei zur Seite. Auch die Aufklärung von Verbrechen wird flugs zum „besonders schweren Unglücksfall“ erklärt, der einen Bundeswehreinsatz rechtfertigt. Zweimal z.B. jagten im Februar '87 zwei Phantom-Düsenjäger der Luftwaffe des Aufklärungsgeschwaders 52 über den Stadtrand von Pinneberg. Um den Entführern des damals längst freigelassenen 14jährigen Nicolai M. auf die Spur zu kommen, fotografierten die Phantom-Jäger ein 60 Quadratkilometer großes Gelände, auf dem kurz zuvor das Lösegeld deponiert worden war. Stunden später konnte die Luftwaffe der Polizei 350 gestochen scharfe Luftaufnahmen vorlegen, auf denen man selbst eine Zigarettenschachtel erkennen konnte. Wie das 'Hamburger Abendblatt‘ damals erfuhr, war dieser Einsatz nicht die erste zivile „Amtshilfe“ der Luftwaffe bei der Verbrechensaufklärung: Ein Jahr zuvor hatten die Phantoms mit ihren Spezialkameras Schiffe aufgespürt, die heimlich Öl in die Nordsee pumpten, und während des Gitmüllskandals um die Hamburger Chemie -Firma Stoltzenberg suchte eine Phantom nach Giftgasen.

Wie viele solcher zivilen Amtshilfeaufträge die Bundeswehr bisher erledigt hat, das weiß man im Bundesverteidigungsministerium angeblich nicht. „Der Bundesregierung liegen keine Erkenntnisse darüber vor, in welchem Umfang durch Dienststellen der Bundeswehr in den letzten zehn Jahren Amtshilfe geleistet wurde“, antwortete das Verteidigungsministerium im letzten Jahr auf eine Anfrage der Grünen. „Unterlagen darüber werden nicht zentral gesammelt oder statistisch ausgewertet.“ Wie die Bundesregierung - Grundgesetz hin oder her - das brisante Problem der militärischen Amtshilfe sieht, erklärt das Verteidigungsministerium in derselben Antwort mit frappierender Klarheit: „Amtshilfe der Dienststellen der Bundeswehr ist grundsätzlich rechtmäßig. Es besteht daher regelmäßig keine Notwendigkeit, die Unterlagen über die jeweils nur in Einzelfällen erbrachten Amtshilfeleistungen längere Zeit aufzubewahren.“