Macht und schöpferische Strategien

■ Sollen Schriftsteller sich in die Nachbarschaft einer Macht begeben, die nach Meinung vieler Menschen kein menschliches Gesicht trägt?

Wole Soyinka

Vor ein paar tragischen Monaten hatte ich Streit mit einigen meiner Kollegen. Anlaß war die Jahreskonferenz der wiedergegründeten Vereinigung Nigerianischer Schriftsteller (ANA), und der Streit begann mit etwas, das zunächst nur ein winziges Planungsdetail schien. Die Schriftsteller, die ja keineswegs zum reichsten Menschenschlag gehören, mußten aus dem ganzen Land zum Konferenzort Abuja zusammengeholt werden. Der damalige Generalsekretär hatte nun das Angebot eines prominenten Mitglieds der Vereinigung, der gleichzeitig Armee-Offizier war, angenommen und sich ein Militärflugzeug zur Verfügung stellen lassen. Dieses Flugzeug sollte auf mehreren Flughäfen zwischenlanden und so die in Abuja zur Konferenz der Creme nigerianischer Literaten zusammenströmenden Delegierten abholen.1

Der Ort des Kongresses war bedeutsam. Zum ersten Mal in der Geschichte dieses Landes hatte eine Regierung die Schaffung eines Schriftstellerdorfes unterstützt, das in der Hauptstadt Abuja eingerichtet worden war. Ab und an hatte man mir informelle Berichte über den Fortschritt der Bauarbeiten von zwei oder drei Apartements in diesem Dorf zukommen lassen. Der Kongreß nun sollte die Bühne abgeben für die offizielle Übergabe des Dorfes an die Schriftstellergewerkschaft. Das Militärflugzeug war damit also nur ein kleiner Teil der Gesamt-Dankesschuld der Vereinigung gegenüber der Regierung, nur ein zusätzliches, beunruhigendes Fragezeichen hinter der Beziehung zwischen Schriftstellern und Regierung. Ich hatte die Nachricht meiner Nominierung als Treuhänder dieses Grundbesitzes nur mit schweren Bedenken angenommen. Aber schließlich hatte ich mich überreden lassen, die Position anzunehmen und mich in der Situation wiedergefunden, gesetzlicher Bürge für ein Stück Land zu sein, das seine Existenz der „Großzügigkeit“ eines ansonsten offen faschistischen Regimes verdankte, etwas versüßt durch das Engagement eines Militärs, der zufällig auch dichtete.

Was dachten die Machthaber des Regimes eigentlich über ihn, hatte ich mich oft gefragt. War er für sie nur ein Clown? Oder ein bequemes, wenn auch selbst etwas verrücktes Brückenglied zu den Verrücktheiten anderer, manchmal irritierender Geister? Oder diente er nur als Garant dafür, daß die Schriftstellervereinigung nichts Subversives anstellte, und durch den man jederzeit alle ihre Aktivitäten unter Kontrolle hatte? Warum, so forderte ich zu wissen, war das Regime so außerordentlich zufrieden mit diesem potentiellen Dissidenten-Nest inmitten der Hauptstadt? Waren wir als Künstler etwa nur den Schmeicheleien der Macht erlegen und hatten uns lammfromm ins Kloster schicken lassen, verführt durch die weltmännische Freundschaft eines Mächtigen, der unser Kongreßgast sein wollte? Sollten wir wirklich die Augen vor der Realität verschließen und uns in der falschen Güte eines ansonsten unterdrückerischen Regierungsapparates sonnen, der damals durch ihn repräsentiert wurde?

Am Ende habe ich an diesem Kongreß nicht teilgenommen, durchaus mit Bedauern, denn ich hätte sehr gerne viele meiner langentbehrten Freunde wiedergetroffen. Tod den kompromißlerischen

Literaten!?

Natürlich war es unvermeidlich, daß solche Bedenken auch durch dieses Treffen wieder geweckt wurden - und zwar von Anfang an, als man erste Fühler in meine Richtung ausstreckte und vor einem Jahr mit der Planung dieser Konferenz begann. Ich habe erlebt, wie sie durch verschiedene Stadien ging, wie verschiedene Möchtegernpatrone sich über sie stritten und wie man sich schließlich auf eine gemeinsame Veranstaltung von nigerianischer Regierung, französischem Kulturministerium und Unesco einigte. Auch dieses Treffen ist den üblichen Streitereien über die Ambivalenz von Schirmherren nicht entgangen, in die „unabhängige“ Organisationen geraten, weil wichtige und ambitionierte Projekte sie zur Zusammenarbeit mit Regierungsinstitutionen zwingen. Als ich von einem Funktionär der Vereinigung provozierend hingewiesen wurde auf meine Annahme nationaler Verantwortung in einem für einen Dichter - und dazu einen Nobelpreisträger! - ziemlich ungewöhnlichen Feld2, da konnte ich seine negative Folgerung nur an ihn zurückgeben: setzte sich die Vereinigung Nigerianischer Schriftsteller, wenn sie die Schirmherrschaft der Regierung akzeptiert - und zwar für zunehmend subtile Zwecke, in deren Zentrum ich plaziert werde - nicht dem Verdacht aus, nicht nur für die Politik dieser Regierung Partei zu ergreifen sondern sogar für das fundamentale Machtprinzip einer Militärregierung? Sein Versuch, die inhärenten Widersprüche zu versöhnen, ließen mich nicht im Zweifel daran, daß das letzte Wort über die gespannten Beziehungen zwischen Künstlern und ihren Kollektivstrategien noch nicht gesprochen ist - und auch wohl nie sein wird.

Ich hoffe, daß man während dieses Kongresses unter der einen oder anderen Überschrift auch die Frage nach der Moralität dieser Veranstaltung selbst stellt und diskutiert, denn sie findet statt unter der Patenschaft einer Regierung, die von einem großen und wortgewaltigen Teil der nigerianischen Intelligenz - einschließlich einiger Organisatoren dieses Kongresses - verurteilt wird. Sollen Schriftsteller wirklich in der Nachbarschaft einer Macht gesehen werden, die nach Meinung vieler Menschen kein menschliches Gesicht trägt?

Und das meine ich nicht als rhetorische Frage. Was wäre denn die Reaktion jedes einzelnen hier, wenn im nächsten Augenblick eine protestierende Menge von Arbeitern und Studenten den Sicherheitshügel durchbräche und in diesen Saal käme, unter einem Hagel von Stinkbomben und mit Plakaten und Sprechchören: „Nieder mit den Schriftstellerparasiten! Tod den kompromißlerischen Literaten! Nieder mit der blutsaugerischen Intelligenz und ihren Miliärpaten!“? Wenn wir unter den Sitzen wieder hervorgekrochen kämen, sollten wir dann ein Gespräch versuchen und darlegen, was wir für die leidenden Massen mit dieser verkrampften Ehe zu erreichen hoffen? Wenn die ersten Steine von unseren Eierköpfen abgeprallt sind, sollen wir sie dann zu beruigen versuchen, indem wir ihnen den langen Löffel zeigen, mit dem wir mit dem Teufel speisen? Und was sollten wir mit diesem Löffel tun - zur Selbstverteidigung mit ihm auf ihre aggressiven Köpfe einschlagen oder ihnen seinen Grund zeigen, damit sie sehen können, daß auch für sie noch etwas zum Ablecken übriggeblieben ist?

Wenn der Rauch sich ganz verzogen hat, sollen wir ihnen als Schriftsteller mit der ganzen Integrität unseres Gewissens sagen, daß gari - dieses Grundnahrungsmittel, das sich, so würden sie uns ins Gesicht schreien, nur noch die Reichen leisten können - zwar zum Überleben wichtiger ist als literarische Phantasie, daß aber die eine menschliche Produktivität nicht notwendig die Erreichung der anderen verhindert, und daß Strategien zur Erreichung von beidem schließlich Gegenstand der einen oder anderen Wahl innerhalb komplizierter Mächte sei, die unseren Alltag beherrschen?

Häuslich niedergelassen mit der herrschenden Clique und ihren internationalen Mitspielern, wie sie uns hier sehen würden, glaube ich nicht, daß solche Plattitüden den Kratzer auf unserer Dichter-rüstung wegmachen könnten.

Es gibt ein Theaterstück von mir, das auf dieser Konferenz nicht zu sehen sein wird. Sein Titel ist Ein Spiel von Riesen und der Grund für sein Ausscheiden aus dem Programm - abgesehen von unlösbaren technischen Problemen - ließe sich zusammenfassen als politisches Unbehagen der Protokollabteilung jenes Ministeriums, das mit dem Gegenstand des Stückes befaßt ist.3 Ich habe das eingesehen und wenn ich dieses Nichtereignis hier erwähne, so hat das nichts mit einem Zensurvorwurf zu tun. Es war eher so, daß es mir nahezu unmöglich gewesen wäre, die Produktion in meinem übervollen Terminkalender noch unterzubringen; da die Organisatoren aber ausdrücklich gewünscht hatten, daß ich persönlich die Regie übernehme, habe ich sie schließlich mit Erleichterung in ihrer Entscheidung unterstützt. Erst in den letzten Wochen begann ich, die Abwesenheit dieses Stückes als Mangel zu empfinden, als Reaktion nämlich auf zwei sich sehr ähnelnde Ereignisse - die Besuche zweier Staatsoberhäupter aus der Nachbarschaft. Der eine war der Besuch Compaores, Staatsoberhaupt von Burkina Faso4, der andere von Jerry Rawlings, Staatsoberhaupt der Republik Ghana. Diese zwei Versuche boten eine bemerkenswerte Studie in Gegensätzen. In bezweifle natürlich nicht, daß von offizieller Seite die Gastgeberpflichten peinlich genau eingehalten wurden, wenn auch auf gewissen öffentlichen Anlässen viel verkrampftes Lächeln und eine „stiff upper -lip“ getragen wurde. Denn die Öffentlichtkeit bestand darauf, daß es Unterschiede gab - und sie demonstrierte sie auch. Der eine wurde großzügig und warm willkommen geheißen, der andere - nun, sagen wir, daß sein Empfang durch das nigerianische Volk schlichtweg nicht stattfand. Die Zeitungen stellten statt dessen in wunderbaren unterdrückbaren Karikaturen, in Kommentaren und Leserbriefen immer wieder die Frage: „Wie um Himmelswillen ist es möglich, daß ein Mann, der auf so abstoßende Weise an die Macht gelangt ist, hierher eingeladen wird?„5

Ein Geständnis, das Jerry Rawlings im Verlauf seines Interviews machte, erinnerte mich wieder an das Spiel von Riesen. Er sagte da - und man sollte ihm für seine Offenheit danken -, daß sein Provisorischer-Nationaler -Verteidigungsapparat (PNDC), also das höchste Regierungsorgan des ghanischen Volkes, nicht die Absicht habe, seine Macht ans Volk abzugeben. Ziel des gegenwärtigen Regimes sei es nur, die „Volksbeteiligung an der Regierung zu erweitern“. Das klingt für unsere nigerianischen Ohren wie eine Kampfansage. Und ich möchte weitergehen und sagen, daß es für alle selbständigen Völker der Welt, gelinde gesagt, eine höchst befremdliche Mitteilung ist, die stets befleckten Gesichter von „Demokratie“, „Volksregierung“, „wohltätiger“ und „bösartiger“ Diktatur etc. hier mit einem Politiker vergleichen zu können, der zumindest genuine Ziele der Bevölkerung repräsentiert - was immerhin angenehmer ist als die Herrschaft von Narren und Schlächtern - sollte man die Gelegenheit beim Schopf packen und den Verkündigungen dieser fortschrittlicheren Stimme afrikanischer Politik auch antworten. Das göttliche Recht der

Maschinengewehre

Vor einigen Jahren unter einer anderen Militärdiktatur verblüffte ein für seine radikalen politischen Ansichten bekannter nigerianischer Dichter seine Leser einmal mit dem Rat, das Volk solle doch dem Regime helfen und seine Politik unterstützen. Sein Argument dafür war - ob richtig oder falsch - zumindest bemerkenswert. Es sei nämlich, so erklärte er, von größter Wichtigkeit, dem Regime, das sich für eine Rückkehr zur zivilen Regierung verbürgt und sogar einen klaren Zeitplan dafür aufgestellt hatte, keine Ausflüchte zu ermöglichen, falls es eines Tages säumig werden sollte.

Ich glaube, daß er hiermit die Vernunftsgründe ausgedrückt hat, die eine Militärregierung auch für radikale Bevölkerungsteile manchmal akzeptabel macht. Dennoch bin ich überzeugt, daß man weitergehen muß. Vor einigen Monaten habe ich die Gelegenheit ergriffen, zur Abschaffung aller theokratischen Elemente in den verschiedenen Regierungsformen aufzurufen und das Ende des Jahrhunderts als Datum zu setzen für die Säkularisierung aller weltweit bestehenden Regierungen.6 Heute will ich die Gelegenheit nutzen, die Schriftsteller dieses Kontinents zu einem ähnlichen Vorhaben einzuladen.

Das „göttliche Recht der Könige“, das mit der Enthauptung der Gekrönten vor einigen Jahrhunderten in Europa zu Ende ging, ist - muß ich das Offensichtliche aussprechen? - in diesem Kontinent durch das „göttliche Recht der Maschinengewehre“ ersetzt worden. Wir müssen unsere Diktatoren auffordern - egal, unter welcher Maske sie sich verstecken, wie vergleichsweise zivilisiert und domestiziert sie auch scheinen -, ein definitives Datum innerhalb dieses Jahrhunderts für die Beendigung ihrer Mißachtung des Volkswillens zu setzen. Ich möchte alle Schriftsteller dazu aufrufen, ihr Talent zu nutzen und alle nur möglichen Strategien zu versuchen, um die Verunsicherung des sozialen Daseins zu beenden, das die unvermeidliche Folge von Zwangsregierungen ist. Schließlich akzeptieren wir auch, daß wir gemeinsame Feinde haben, nicht zuletzt das Apartheid -System, das uns zu Untermenschen erklärt und unseren Brüdern das Recht auf politische Selbstbestimmung verweigert. Wenn wir dagegen - und gegen andere, schwerer faßbare Hindernisse zur völligen Selbstverwirklichung kämpfen müssen, dann als Gleiche und nicht als zum Kampf Gezwungene, die ins Feuer gehen, ob sie wollen oder nicht. Jedes Opfer für unsere Emanzipation muß aus freiem Willen geboren sein, ganz gleich, um was es geht. Und dafür brauchten wir gewiß auch kein „Spiel von Riesen“ mehr.

W.Soyinka hielt die hier gekürzt wiedergegebene Rede am 2.Mai 1988 in Lagos auf der Konferenz Afrikanischer Literatur.

1 Generalmajor Mammen Vatsa, Offizier und Schriftsteller, wurde zusammen mit anderen Offizieren im Dezember 1986 unter dem Vorwurf, einen Umsturz geplant zu haben, festgenommen und enthauptet. Auf dieses Ereignis bezieht sich auch die Erwähnung „tragischer“ Monate im ersten Satz. Von M.Vatsa ist im folgenden weiter die Rede.

2 W.Soyinka spielt hier offenbar auf sein Engagement für sichere Straßen in Nigeria an; er ist Vorsitzender eines entsprechenden nationalen Komitees.

3 „A Play Of Giants“ (Methuen Paperback, 3.50 Pfund) wurde 1984 geschrieben; das Stück portraitiert im Stil einer Groteske afrikanische Herrscher, besonders Idi Amin, und ihren unter antiimperialistischen Phrasen versteckten blutigen Machtrausch. Vertreter der Supermächte und der UNO werden ebenfalls in keinem freundlichen Licht gezeigt.

4 früher Obervolta

5 Jerry John Rawlings kam 1979 ein erstes und 1981 ein zweites Mal an die Macht, beide Male durch blutigen Putsch.

6 Rede in Paris im Januar dieses Jahres; siehe taz-Index vom 26.5.'88 („Für ein sekuläres Denken“)