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Zwischentöne

■ Kuba - aufs Korn genommen

Wenn man im Autorenverzeichnis eines „LänderBilderLeseBuchs“ erfährt, warum die Verfasser Kuba lieben, dann verheißt das nichts Gutes. Doch die Artikel sind durchweg spannender als die meisten Antworten auf die Klischee-Frage („raucht mit Vorliebe kubanische Zigarren“). Auch die Titel der Artikel lassen das noch kaum erahnen. Da geht es um den „Stolz, Cubanerin zu sein“, um „Tabakdüfte aus Pinar del Rio, Revolutionäres aus Santa Clara, Koloniales aus Trinidad“. Um Religion, Rumba, den Che, Hemingway auf Kuba - und natürlich immer wieder um Fidel: Von den „abenteuerlichen Stationen“ seiner Revolution bis zum „Boxen für Fidel“.

Doch den affirmativen Titeln folgt nicht einfach die revolutionäre Landeskunde. Die 19 Autoren machen nicht nur Lust auf eine Reise - sie äußern auch Kritik. Lange Zeit war die Kuba-Diskussion bei uns eher polarisiert: zwischen der dogmatischen Freundschaftsgesellschaft BRD-Kuba und der früh enttäuschten Linken, die seit Ende der sechziger Jahre, nach Enzensbergers „Kursbuch“ zu Kuba, dort nur Bürokratie, sozialistische Eintönigkeit und Unterdrückung sah.

Jetzt also die Zwischentöne. Zwar dürfen in dem Lesebuch mit den hervorragenden, oft ganzseitigen Schwarzweißfotos die „sozialen Errungenschaften“ in keinem Artikel fehlen aber auch über ihre Grenzen erfahren die Leser einiges. Wenn der hohe Frauenanteil an qualifizierten Berufen des mittleren Niveaus hervorgehoben wird, dann steht da auch, daß das vor allem Grundschullehrerinnen, Erzieherinnen und Krankenschwestern sind. Frauen im Alltag: „Von Gleichberechtigung oft keine Spur.“ Aufs Korn genommen wird auch der (oft geleugnete) Rassismus gegenüber der schwarzen Bevölkerung, und nach der Lektüre von Wilfried Huismanns Artikel versteht man auch Castros Annäherung an die katholische Religion. Offenbar ist sie nicht nur taktisch: Kubas Staatswirtschaft steckt in einer tiefen Krise. Neben dem niedrigen Zuckerpreis ist auch niedrige Produktivität schuld. Der ökonomische Pragmatismus der osteuropäischen Wirtschaftsreformer ist Castro ein Graus. Gegen die schlechte Arbeitsmoral kämpft er mit noch mehr Zentralisierung, aber auch mit „jesuitisch geprägtem moralischem Rigorismus“. Ein „Bündnis mit der Arbeits- und Sexualmoral der katholischen Kirche“ gegen die afrokubanische Libertinage.

Wem diese Erklärung für Kubas Gegenkurs zur Perestroika nicht ausreicht, der sollte das Buch „Kuba - eine neue Klassengesellschaft?“ zur Hand nehmen. Eine Dissertation von 300 Seiten Text, aber gut lesbar. Nach einer Untersuchung der Wirtschaftspolitik vom Che bis zum sowjetischen Planungsmodell führt die Autorin die heutige Stagnation auf Hyperzentralisierung und mangelnde Beteiligung der Arbeiter an den Entscheidungen zurück - trotz des gewählten „Poder Popular“. Der Aufbau des Sozialismus ist auf die Entwicklung der Produktivkräfte reduziert. Eine halbherzige Wirtschaftsreform Anfang der achtziger Jahre, als private Bauern- und Wohnungsmärkte zugelassen wurden, ließ die Schattenwirtschaft wuchern. Fidel besann sich auf die altbekannten - aber wenig bewährten - Mittel: Kontrolle und Appell ans revolutionäre Gewissen.

Eins wird aus der Studie deutlich: Seit der Revolution von 1959 ist die Befriedigung der materiellen Grundbedürfnisse der Kubaner gesichert worden. Aber dabei ist eine „neue Klassengesellschaft“ (im Text des Buches auch ohne das Fragezeichen des Titels) entstanden. Kuba ist an die Schranken seines hierarchischen Entwicklungsmodells gestoßen.

Michael Rediske

Dorothea Boyer u.a. (Hg.). Cuba. Menschen Landschaften. Elefanten Press. Berlin 1987. 128 Seiten, ca. 80 Fotos, DM 29.80

Karin Stahl. Kuba - eine neue Klassengesellschaft? Heidelberger Verlagsanstalt 1987. 431 Seiten. DM 36.-

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