Deutsche Geschäfte

■ Lateinamerika als Hinterhof der Bundesrepublik

Zwischen Mexiko und Feuerland vertreiben Hoechst und Bayer ungestört alle möglichen Medikamente, die sie hierzulande nicht mehr verkaufen dürfen; in Chile präsentiert sich Arbeitsminister Blüm als Kämpfer für die Menschenrechte; das Bonner Entwicklungshilfeministerium spendiert den Polizeichefs von Guatemala Mercedes-Geländewagen und das gute Budget der lateinamerikanischen Generäle soll verbunden mit einer lockeren Handhabung des Kriegswaffenkontrollgesetzes - Arbeitsplätze bei Kraus -Maffei, AEG und den krisengeschüttelten Werften retten. Mit diesen und anderen „deutschen Geschäften“ befaßt sich das jüngste Jahrbuch „Lateinamerika - Analysen und Berichte 11“.

Neben gründlichen Aufsätzen über die Lateinamerika -Geschäfte der Pharma- und der Rüstungsindustrie wird auch ein Busineß-Bereich beleuchtet, der gewöhnlich kaum als solcher wahrgenommen wird: Die Vereinnahmung der lateinamerikanischen Volksmusik durch den „Weltunterhaltungsmarkt“. Wie auf dem Weltmarkt für Waren und Rohstoffe herrschen auch hier extrem ungleiche Austauschbeziehungen zugunsten der Industrieländer. Diese werden, wie Ulrich Laaser zeigt, durch ein umfangreiches System von Patent-, Urheberrechts-, Vergütungs- und Vervielfältigungsbestimmungen abgesichert.

Lateinamerika wird zu einem Lieferanten „kultureller Rohstoffe“. Von der US-Unterhaltungsindustrie wird diese „enteignete“ lateinamerikanische Kultur anschließend nach Lateinamerika zurückexportiert - in trivialisierter, dem europäischen und nordamerikanischen Geschmack angepaßter Form.

Gabriela Simon weist in ihrem „Überblick über die Wirtschaftsbeziehungen zwischen der BRD und Lateinamerika“ auf eine grundlegende Wende hin: Der Warenhandel hat stark an Bedeutung verloren. An seine Stelle sind massive Direktinvestitionen getreten. Klassisches Beispiel sind die großen Niederlassungen von VW in Mexiko und Brasilien, aber auch Stahlproduktion, Maschinenbau und Elektro-Industrie sind „ausgelagert“ worden. Dabei werden die zahlreichen Vergünstigungen ausgenutzt, mit denen lateinamerikanische Regierungen um ausländische Investitionen werben.

Nach den Zukunftsperspektiven dieser Entwicklung fragt Jörg Meyer-Stamer. Er setzt sich kritisch mit der These auseinander, daß durch die neuen Technologien eine Rückverlagerung der Industrieproduktion in die „Erste Welt“ zu erwarten sei, da mit der zunehmenden Automation und Computerisierung der klassische „Billiglohn-Effekt“ der „Dritten Welt“ immer unbedeutender werde.

Gegenüber der technischen Machbarkeit solcher „Voll -Computerisierungs-Utopien“ ist Skepsis angebracht. Zudem hält Meyer-Stamer der „Rückverlagerungs-These“ aber auch entgegen, daß diese nur die Produktionskosten („Billiglohn“) berücksichtigt. Investitionen der multinationalen Konzerne orientieren sich jedoch in wachsendem Maße an den Absatzmärkten für ihre Produkte. Angesichts der Devisen -Knappheit der hochverschuldeten Länder und den sich daraus ergebenden Importbeschränkungen kann nur die Produktion in Lateinamerika selbst den Zugang zu den dortigen Märkten sichern. Statt mit einer Rückverlagerung der Produktion in die Industrieländer ist deshalb vielmehr mit einer Konzentration der ausländischen Direktinvestitionen auf die Länder mit dem größten und profitversprechendsten nationalen Markt, auf die „Schwellenländer“ Brasilien und Mexiko also, zu rechnen.

Im Widerspruch zu der enormen wirtschaftlichen Macht des Export-Weltmeisters BRD steht seine nur mittelmäßige Bedeutung in unmittelbar politischer oder gar militärischer Hinsicht. Um dennoch Einfluß auf Lateinamerika ausüben zu können, hat die Bundesrepublik ein vielfältiges außenpolitisches Instrumentarium entwickelt. In ihm kommt den „parteinahen“ Stiftungen eine Schlüsselfunktion zu. Hanns-Konrad Friedrichs und Urs Müller-Plantenberg haben sich Gedanken über die „Soziopsychologie des Stiftungsfunktionärs in Lateinamerika“ gemacht - nicht zuletzt auch im Hinblick auf die Zukunft einer grünen-nahen Stiftung. Amüsant geschrieben in der Form eines Gesprächsprotokolls mit einem - anonymen - Insider ist diese so unterhaltsame wie nachdenkenswerte Schilderung des „Lebens für den geregelten Mittelabfluß“ wohl das Schmuckstück des Buches.

Claus Leggewie beschäftigt sich in seinem Beitrag mit der jüngsten Menschenrechtskampagne der CDU-Modernisierer um Blüm und Geißler. „Das strategische Ziel“, so die Beurteilung von Leggewie, „bleibt eine Redemokratisierung ohne Systemwechsel.“ Genau hier, wo das Ziel der „Menschenrechtspolitik“ die verbesserte Absicherung der Machtverhältnisse ist, müßte die kritische Auseinandersetzung der Linken und der Solidaritätsbewegung ansetzen. Leggewies Kritik erschöpft sich leider darin, mit zahlreichen Belegen dem „christlich-konservativen Menschenrechtsengagement“ mangelnde „Ausgewogenheit“ vorzuwerfen und die fehlende Konsequenz in der praktisch -politischen Umsetzung aufzuzeigen. Schade.

Das Lateinamerika-Jahrbuch mit dem Thema „Deutsche Geschäfte“ ist schon Ende 1987 erschienen. Es fehlen also Betrachtungen über die im Zusammenhang mit dem Transnuklear -Skandal öffentlich gewordenen Atommüllexporte der Bundesrepublik. Oder über die bundesdeutschen Verstrickungen in die Affäre „Colonia Dignidad“ in Chile. Oder über den kürzlich zum Präsidenten des Deutschen Industrie- und Handelstages (DIHT) gewählten Motorsägenhersteller Stihl, mit dessen so effizienten Produkten weltweit der tropische Regenwald in rasantem Tempo vernichtet wird. „Deutsche Geschäfte“. Ihnen müßte wohl jedes Jahr ein eigenes Jahrbuch gewidmet werden.

Bert Hoffmann

Dirmoser, Dietmar u.a. (Hg): Deutsche Geschäfte Lateinamerika-Analysen und Berichte 11, Junius Verlag Hamburg 1987, 297 Seiten, 24.80 DM