Überleben in der Schuldenkrise

Teil: 23

Berlin (taz) - An Vorschlägen zur Lösung der internationalen Schuldenkrise mangelt es wahrlich nicht. Selbst die weitestgehende Forderung nach einem vollständigen Erlaß der Schulden, auf die sich beispielsweise die Trägergruppen der Gegenkonferenz zur IWF- und Weltbanktagung im September geeinigt haben, gibt allerdings keine Antwort auf die Frage des Entwicklungsproblems. Nur ausnahmsweise wird überhaupt reflektiert, daß die Verschuldungskrise auch die Krise eines Entwicklungsmodells breiter Teile der Dritten Welt ist. Zum Teil erklärt sich diese Ausblendung mit dem mangelnden Wissen der Solidaritätsgruppen über den Diskussionsstand in den verschuldeten Ländern selbst. Nur selten wird in der Flut der Publikationen das Augenmerk auf die Handlungen oppositioneller Gruppen gerichtet.

Vermutlich wären manche verbalradikalen Vertreter einer strikt antiimperialistischen Politik, die die Lösung der Schuldenkrise nicht unterhalb der Schwelle der Weltrevolution anzugehen bereit sind, über die konkrete politische Praxis oppositioneller Gruppen des „Trikont“ enttäuscht. Anläßlich einer Konferenz zur Auslandsverschuldung, die bereits Ende Januar von lateinamerikanischen Nicht-Regierungsorganisationen im peruanischen Lima durchgeführt wurde, haben beispielsweise Vertreter von Bauernorganisationen aus Kolumbien, Honduras und Peru die Frage aufgeworfen, ob das Thema der Auslandsverschuldung überhaupt von politischer Relevanz sei. Das für die Bauern dieser Länder zentrale Thema seien schließlich nach wie vor die Besitzverhältnisse und die ökonomische Abhängigkeit der Kleinproduzenten. Politisch vorrangig sei es, über regionale und nationale Entwicklungsalternativen nachzudenken, die einen politischen Prozeß befördern und zu einer Umbildung der Machtverhältnisse führen könnten. Erinnert wurde ferner daran, daß die Sektoren, die am stärksten unter den Auswirkungen der Verschuldung zu leiden haben, allen voran Frauen und Kinder in den städtischen Armenvierteln, in einer großen Zahl von Ländern nicht ausreichend organisiert seien. Die Maximalforderung nach einem Zahlungsverzicht sei zwar politisch und ökonomisch sinnvoll, aber dennoch keine konkrete Handlungsanleitung für die Länder Lateinamerikas.

Tatsächlich ist das Thema Auslandsverschuldung von den Regierungen der verschuldeten Ökonomien bereits besetzt. Unter manchmal mehr und manchmal weniger geschickter Instrumentalisierung der Aversionen gegen die Politik von IWF und Weltbank bemühen sich die politischen Klassen, die katastrophalen Auswirkungen der Verschuldungs- und Entwicklungskrise für die Herstellung eines neuen nationalen Konsenses zu nutzen. Radikale antiimperialistische Obertöne gehören dabei zum gängigen Vokabular. Solche Anschuldigungen kosten nichts und tragen in erster Linie dazu bei, die Bereicherungspraktiken der herrschenden Eliten unter dem Mantel der Schuldenkrise zu verbergen.

Die unter breiter Teilnahme von Vertretern der Dritten Welt stattfindenden Gegenveranstaltungen zur IWF- und Weltbanktagung werden die Gelegenheit geben, die alternativen Überlebens- und Entwicklungsstrategien zur Kenntnis zu nehmen. Zur Solidarität mit den verschuldeten Ökonomien der Dritten Welt gehört auch, genau zuzuhören.

Kurt Zausel