„Es ist viel zu billig, nur nach schärferen Kontrollen zu rufen“

■ Der nordrhein-westfälische Agrar- und Umweltminister Klaus Matthiesen zum Hormonskandal, der Verantwortung der Regierung und dem Kampf gegen die Agrarfabriken

taz: Herr Minister Matthiesen, 1980/81 hat es in NRW den Östrogenskandal gegeben. Damals hat ihr Vorgänger, Minister Bäumer, schärfere Maßnahmen angekündigt und später vom östrogenfreien NRW gesprochen. Nach den jetzigen Untersuchungen scheint es so, daß nie zuvor so viel gespritzt worden ist wie 1988. Da hat die Politik offensichtlich auf der ganzen Linie versagt.

Matthiesen: Also erstens würde ich nie von einem östrogenfreien NRW sprechen. Auch heute nicht. Auch nach Beendigung des aktuellen Skandals nicht. Und zweitens würde ich dringend allen Länderkollegen empfehlen, nicht vorschnell mit vollmundigen Erklärungen zu sein. Es kommt ja nicht von ungefähr, daß wir in NRW auch diesen Skandal wieder aufgedeckt haben. Es hat zu tun mit dem erklärten politischen Willen der Landesregierung, dem Verbraucherschutz absolute Priorität einzuräumen. Es hat auch damit zu tun, daß wir Überwachungsbehörden haben, die aufgrund der politischen Vorgaben höchst sensibilisiert sind. Nur, wir haben es hier mit einem internationalen Phänomen zu tun. Nach unseren Erkenntnissen gibt es vor allem im Dreieck Holland/Belgien/Bundesrepublik Deutschland eine international tätige Hormonmafia, die richtige Hormonküchen betreibt. Wir vermuten, daß dort hochqualifizierte Chemiker mitarbeiten, die in der Lage sind einzuschätzen, was Behörden apparativ heute überhaupt können. Die arbeiten mit solchen Dosierungen, daß der Nachweis immer komplizierter wird. Deshalb ist es viel zu kurz gegriffen und auch zu billig, jetzt nur nach schärferen Kontrollen zu rufen. Das kann man zwar auch machen, aber wir müssen an die Wurzeln des Übels, wir müssen an den Sumpf heran. Daß wir in den letzten Jahren nicht grundsätzlich die Übel beseitigen konnten, hängt damit zusammen, daß es den politischen Willen weder in Bonn noch bei den anderen EG –Ländern gab, die Bekämpfung der Hormon-Mafia konsequent zu betreiben und die Agrarfabriken, die ich seit Jahren bekämpfe, zurückzudrängen.

Wenn Sie eingestehen, daß heute mehr illegal gespritzt wird als noch vor acht Jahren, dann kann die Kontrolle doch nicht funktioniert haben.

Von eingestehen kann keine Rede sein. Ich weiß es nicht. Ich frage zurück: Glauben Sie im Ernst, daß nur in NRW gespritzt worden ist, daß alle anderen Bundesländer frei sind? Holland, Belgien und andere Länder etwa auch?

Es gab ja die ganzen Jahre über Hinweise auch auf die illegalen Praktiken. Eine dauerhafte Hormonbehandlung sei z.B. schon optisch an den größeren Geschlechtsorganen der Tiere zu erkennen. Die Hinweise sind ja auch beim Regierungspräsidenten angekommen und wurden von ihm offensichtlich an die Strafermittlungsbehörden weitergegeben. Wieso ist es nicht früher zu einer Entscheidung gekommen?

Da müssen Sie die Staatsanwaltschaften und die Gerichte befragen, bei denen Verfahren anhängig sind. Ich kann in solche laufenden Verfahren nicht eingreifen, sondern als Ordnungsbehörde immer nur dann tätig werden, wenn wir neue Tatsachen haben, wenn mir ein neuer begründeter Verdacht mitgeteilt wird.

Ihr Vorgänger, Herr Bäumer, hat gesagt, daß 1983 – unter dem Stichwort der Entbürokratisierung – die Untersuchngsämter in NRW nur noch am „lockeren Zügel des Ministeriums“ gehalten worden seien. Daß im Ergebnis keine Verschärfung, sondern eine Lockerung der Kontrolle erfolgt sei.

Das ist so nicht richtig. Wir haben unsere Kontrolle effektiviert. Denken Sie nur an die von uns aufgedeckte Fleisch-Schieberei mit Subventionsbetrug. Denken Sie an die scharfen Kontrollen an der Grenze zu Holland, für die ich jetzt von der EG-Kommission verklagt worden bin.

Es gibt ein Schreiben vom baden-württembergischen LKA an das LKA in NRW, datiert vom 11.5.1988, in dem die Firma „Bewital“, also der verdächtigte Großmäster Wigger, als Vertreiber von illegalen Hormoncocktails genannt wird. Warum haben Sie auf diesen konkreten Verdacht nicht eher reagiert?

Baden-Württemberg hat uns als oberste Veterinärbehörde nicht informiert. Das hätte geschehen müssen. Das Landeskriminalamt NRW hat zwei Tage später Informationen an die baden-württembergische Polizei gegeben.

Wenn man die Artikel zum Östrogen-Skandal 1980 nachliest, dann kommt einem alles, was jetzt bekannt wird, sehr vertraut vor. Warum sollte es diesmal gelingen, die Schweinereien zurückzudrängen? Wo ist das Neue?

Das Neue ist, daß jetzt der Druck doch so groß ist, daß z.B. die holländische Regierung für Glenbuterol, das bisher tonnenweise vertrieben werden durfte, die Rezeptpflicht eingeführt hat. Das Neue ist, daß nun innerhalb einer Woche die Bundesregierung angekündigt hat, sie wolle Gesetze vorlegen gegen die Agrarfabriken und die Strafen verschärfen.

Die SPD-Politik der kleinen Schritte im Agrarbereich ist gescheitert...

...Ihre Wertung ist falsch...

.... wieso, die Situtation hat sich in den letzten Jahren doch nicht verbessert, sondern verschlimmert.

Wer regiert denn in Bonn? Was ich im Bereich des Landes tun kann, ist zu versuchen, durch vernünftige Verordnungen, durch Naturschutzpolitik und Kooperation zu weiteren Extensivierungsfortschritten in der Landwirtschaft zu kommen, z.B. durch das Feuchtwiesenschutzprogramm und durch Unterstützung alternativer Betriebe ...

... und trotzdem wachsen die Agrarfabriken ...

... weil ich als Landespolitiker keine gesetzliche Handhabe habe, dieser unseligen Entwicklung endlich ein Ende zu bereiten. Wir brauchen EG-weite Bestimmungen'und wir brauchen nationale Gesetze, und deshalb müssen Sie diese Forderung an die Bundesregierung richten.

Das Interview führte Walter Jakobs