Neuer Sand im republikanischen Getriebe

■ Bushs Auftritt von Diskussionen um Dan Quayle überschattet / Aus New Orleans Stefan Schaaf

Als Vollstrecker der „Reagan-Revolution“, aber auch mit einem Herz für die sozial Schwachen präsentierte sich Donnerstag abend der Präsidentschaftskandidat der Republikaner vor den Parteitagsdelegierten in New Orleans. Obwohl Bush für seine Rede, die ihn endlich vom Stigma des konturlosen Reagan Ja-Sagers befreien sollte, gute Noten erhielt, droht ihm bereits neues Ungemach: Dan Quayle als Vize-Präsidentschaftskandidat hat Flecken auf der weißen Weste.

In der Choreographie der Parteitagsplaner war alles genau geplant. Jeder Tag, jeder Auftritt hatte seine Funktion. Doch dann kam alles ganz anders. George Bushs erste eigenständige Entscheidung als offizieller Präsidentschaftskandidat seiner Partei warf die Planung über den Haufen und seine Kampagne fast aus der Kurve. Am ersten Tag sollte mit der Rede Präsident Reagans eine positive Bilanz der letzten acht Jahre gezeichnet werden, am Dienstag hatte Gouverneur Keans Hauptrede die Funktion, die Unterschiede zu den Demokraten zu verdeutlichen und am Donnerstag wollte sich George Bush mit einer dramatischen Rede als der würdige Erbe der Reagan-Ära präsentieren.

Doch der Zeitplan geriet bereits am Dienstag durcheinander. Entgegen der ursprünglichen Planung ging Bush zwei Tage zu früh mit dem Namen seines Wunsch-Vizepräsidenten an die Öffentlichkeit und stellte die Dramaturgie auf den Kopf. Statt mit dem Parteitag beschäftigen sich die Medien nur noch mit dem Jungpolitiker Dan Quayle. Mit Erfolg, denn ein Detail aus dem Lebenslauf des millionenschweren Sprößling wuchs sich in den nächsten 48 Stunden zu einem solchen Problem aus, daß bereits Rufe nach einem Rücktritt des 41jährigen Senators von der Nominierung laut wurden. Quayle hatte, offenbar unter Mithilfe einflußreicher Mitglieder seiner Familiendynastie in Indiana, 1969 einen bequemen Platz in der Nationalgarde Indianas ergattert, anstatt nach Vietnam eingezogen zu werden.

Für einen Kandidaten, der sich als militärischer Hardliner, als Verteidiger der „Freiheit des Westens“ und der Reaganschen Rüstungsprogramme profiliert hat, ist es ein schweres Handicap, wenn ihm Drückebergerei vorgeworfen werden kann. Auf der Straße vor dem Superdome wurde Quayle prompt dieser Vorwurf gemacht. Eine kleine Gruppe von Vietnam-Veteranen forderte seinen Rückzug von der Kandidatur. Auf der anderen Straßenseite stand ironischerweise ein Häuflein junger Anarchisten, die für Quayle eintraten. Für sie sei jeder Weg legitim, erklärten sie verwirrten Parteitagsdelegierten, sich einer militärischen Verpflichtung zu entziehen.

Die Führung der Bush-Kampagne geriet völlig außer Tritt. Für den Nachmittag sagte sie alle Termine ab und suchte nach Wegen zur Schadensbegrenzung. Die Quayle-Debatte wurde von Stunde zu Stunde, je näher der Abschlußabend des Parteitags rückte, lästiger. Man entschloß sich letztlich, die Krise auszustehen. Quayle wurde wie geplant am Abend vom Parteitag nominiert und per Akklamation bestätigt. In seiner Rede versuchte er eine Flucht nach vorn und behauptete, er sei „stolz“, in der Nationalgarde gedient zu haben. Das war der einzige Verweis auf die Krise, der während des gesamten letzten Parteitagsabends vom Podium herab gemacht wurde. Quayle sagte, er sei in die Politik gegangen, weil er die heile kleinstädtische Welt Indianas und die Zukunft seiner Familie Mitte der siebziger Jahre bedroht gesehen habe. Reagans Wahlsieg 1980 habe das Land dann auf einen völlig neuen Kurs gebracht, eine Erfolgsstory, die er gemeinsam mit George Bush „um einige kühne Kapitel“ erweitern wolle.

Dann endlich der Auftritt, der den Mann ohne Konturen aus dem Schatten ins Licht katapultieren sollte. Die Parteidelegierten im „Superdom“ gaben sich alle Mühe, den Erwartungen gerecht zu werden. Bush wurde mit minutenlangem Jubel empfangen und gefeiert. Er präsentierte sich als ein Mann mit einer „Mission“: „zu vollenden, was wir 1980 begonnen haben“, und „ein besseres Amerika zu schaffen“. Seine Rede enthielt keine politischen Überraschungen; er verpflichtete sich auf viele zentrale Punkte des Reagan -Programms, darunter ein festes Nein zu neuen Steuern, eine Bewahrung militärischer Stärke, eine Fortführung des SDI -Programms, den Krieg gegen Drogen, die Todesstrafe, die Wiedereinführung des Schulgebets und eine Opposition zur legalen Abtreibung. Doch er hinterließ keinen Zweifel, daß er ein anderer Charakter ist als Ronald Reagan. Bush beschrieb seine Schwachstellen, seinen Mangel an Charisma, sein gelegentliches ungeschicktes Benehmen und zeichnete sich damit als menschliches Wesen. Er tat es in einer Weise, die viele Beobachter positiv überraschte. Er versuchte zu zeigen, daß er eine soziale Ader hat und das Schicksal von Menschen nachvollziehen kann, die sich von unten hochgearbeitet haben.

Bushs angebliche soziale Passion war nicht der einzige Griff in die Trickkiste der Illusionen, aus der sich die Republikaner in dieser Woche so eifrig bedient haben. Sie entwarfen ein in sich geschlossenes Bild ihrer Errungenschaften: einer wiederbelebten Wirtschaft mit Millionen neuer Arbeitsplätze, einer friedfertigeren Welt dank amerikanischer Stärke. Sie redeten viel von den Steuern, die sie gesenkt haben, aber nie vom gigantischen Haushalts- und Handelsdefizit, das es für den nächsten Präsidenten erforderlich machen wird, neue Einnahmequellen zu erschließen. Sie feierten republikanische Politiker von Abraham Lincoln über Teddy Roosevelt bis zu Barry Goldwater, den unterlegenen Präsidentschaftskandidaten von 1964, aber erwähnten den zweimal siegreichen Richard Nixon mit keinem Wort. Sie redeten von der „Befreiung Grenadas“, aber kein einziges Mal vom Irangate-Skandal.