„Die Polizei ist ein Haus ohne Hüter“

Gerichtsreporter Gerhard Mauz zur Rolle von Polizei und Medien bei der Geiselnahme  ■ I N T E R V I E W

taz: Nach dem blutigen Ende der Geiselnahme stehen schwere Vorwürfe gegen Polizei und verantwortliche Minister im Raum. Wie beurteilen Sie das Verhalten der Polizei?

Gerhard Mauz: Ich habe vor einiger Zeit über zwei Polizeibeamte geschrieben, die einen alten Mann wegen 30 Mark umgebracht haben. Ich habe damals gesagt, daß die Polizei ein Haus ohne Hüter ist. Sie hat keine Vorstellung von sich selbst, sie hat keine Identität. Sie weiß nicht, was Polizei heute ist und was sie sein könnte. Eine Truppe, die sich so unklar über das eigene Selbst ist, die ist natürlich auch für solch einen Einsatz völlig indisponiert. Die Geiselnahme hat die Polizei gewissermaßen auf zwei linken Füßen erwischt.

Die Handlungsbreite der Polizei hätte vom finalen Todesschuß, der jetzt von Stammtischstrategen gefordert wird, bis zum souveränen Laufenlassen der Täter gereicht. Man hätte ihnen die Flucht ermöglichen können, denn die Täter waren identifiziert, sie waren über Millionen Bildschirme gelaufen, sie hätten keine Chance gehabt.

Die Polizei hat diesen Handlungsrahmen mit seinen verschiedenen Möglichkeiten gar nicht systematisch abgeklopft. Da waren die verschiedensten Kompetenzen im Spiel, es war ein heilloses Durcheinander. Jeder hatte irgendetwas zu sagen. Es gab keine klaren Entscheidungen, weil es kein klares Bild und kein Bewußtsein gibt von der Aufgabe der Polizei. Die Polizei wird zerrieben zwischen Verkehrsregelung, Objektschutz, Demonstrationseinsätzen, Schwerverbrechen usw., sie fühlt sich verheizt, und sie ist orientierungslos.

Was sagen Sie zu dem furchtbaren Ende in Bad Honnef?

Ich weiß nicht über alle Details bescheid, aber was ich weiß, entsetzt mich. Man hat offenbar die Dinge hin- und hergeschoben und am Ende wurde gehandelt nach dem Motto: Was sollen die Leute von uns denken, wenn wir jetzt nicht eingreifen.

Das hieße, der Einsatz sollte nicht die Geiseln schützen, sondern das Image der Polizei?

Ich glaube, daß man die Ereignisse als eine bedrohliche Verhöhnung der Polizei gesehen hat, als Verspottung. Man geriet unbewußt unter Druck und hat dadurch im vielleicht falschesten Moment gehandelt.

Zentraler Punkt bei allen Geiselnahmen sind die Verhandlungen mit den Tätern. Auffällig und für jeden sichtbar bei dieser Geiselnahme war, daß die Täter selbst die Kommunikation gesucht haben. Jeder Reporter konnte offenbar mit ihnen reden, nur die Polizei nicht.

Das ist für mich ein großes Rätsel. Die übliche Taktik lautet: ins Gespräch kommen, im Gespräch bleiben, Kontakt bekommen, Zeit gewinnen. Das ist offenbar nicht versucht worden. Die These, daß die Täter nicht mit sich reden ließen, wird eindeutig von den Fernsehbildern widerlegt. Das wurde also nicht richtig versucht. Auch der zweite Grundsatz, daß man in solchen Fällen am Tatort bleibt und nicht als Wanderzirkus durch die Republik fährt, wurde nicht befolgt.

Ist die Schelte der Medien berechtigt?

Durch die Zudringlichkeit der Medien könnte das Gespräch der Polizei mit den Tätern nicht richtig in Gang gekommen sein. Das könnte möglich sein, aber ich weiß darüber zu wenig.

Hätten Sie das Interview mit einem der Geiselnehmer gemacht und gesendet?

Wenn ich es gemacht hätte, dann hätte ich es auf jeden Fall kommentiert. Und ich hätte ganz bestimmt nicht über den Zynismus gesprochen, sondern gesagt, daß wir hier einen Verlierer unserer Gesellschaft vor uns haben. Und daß diese Gesellschaft sehr viele Verlierer produziert. In diesem Falle war man an zwei Verlierer geraten, die die Nerven verloren haben. Da standen zwei Männer, die keine Lebensmöglichkeit mehr sahen, die zum Äußersten entschlossen waren und mit denen man behutsam, leise und extrem vorsichtig umgehen mußte. Stattdessen zu sagen, was sind das für gräßliche Menschen, was sind das für Tiere, das hätte ich nicht gesendet.

Was mich darüber hinaus besonders erschreckt hat, war, daß voller Stolz gesagt wurde, daß die Täter schon mit 14 im Gefängnis waren. Aha, da haben wir's! Aber was wissen wir heute - nicht nur aus der Theorie - über das Stigmatisierende, Gefährliche, Runiöse von solchen Strafen. Wenn es zutrifft, daß hier jemand, der 14 Jahre alt war, zu drei Jahren Jugendstrafe verurteilt wurde, dann ist das ein sicheres Mittel, um eine Biographie zu zerrütten.

Interview: Manfred Kriener