Die Liebe zu den vielen Schwächen

■ „Öffentliche Voraufführung“ des Zelttheaters „Metronom“ am Schlachthof: Eine Frau und zwei Männer dümpeln mit ihrem Stück „Fahrt ins Blaue“ auf imaginären Wellen

Wenn drei eine Reise tun, dann können sie was erzählen. Das traf auf das Spielensemble des Zelttheaters „Metronom“ gleich in zweifacher Hinsicht zu. Die Vorbereitungen zu ihrer neuen Produktion, „Die Fahrt ins Blaue“, hatten sich bis zum allerletzten Moment ausgedehnt, so daß ihre eigentlich als „öffentliche Voraufführung“ deklarierte Premiere auch für alle Beteiligten eine Fahrt ins Ungewisse darstellte. Zum anderen boten die Erlebnisse der drei Hauptfiguren des Stückes genügend Erzählstoff, hatte sich das Trio doch versehentlich statt auf ein Kreuzfahrt-Schiff auf die schmuddeligen Planken eines abgetakelten Seelenverkäufers begeben.

Nach dem Schließen der „Luken“ im heimeligen Zelt auf der Bürgerweide wurden die Besucher erst einmal mit den Rettungs

maßnahmen einer derartigen nautischen Unternehmung vertraut gemacht. Vor einem klapprigen Maritim-Ambiente machten die drei Mimen unter anderem klar, wie so ein Brechbeutel einer angemessenen Benutzung zuzuführen sei. Doch, dem Himmel sei Dank, niemand im Publikum fand anschließend Verwendung für das neuerworbene Wissen.

Daß eine Seefahrt immer lustig sein muß, bezweifeln nicht wenige Landratten seit ihrer ersten Butterfahrt. Und auch „Die Fahrt ins Blaue“ erwies sich zunehmend als ein Dümpeln ins Tal der Wellen. Spät, viel zu spät, merken die drei Kreuzfahrer, daß sie sich auf dem „falschen Dampfer“ befinden. Da hat dieser sich aber schon losgerissen, und somit kann es losgehen mit allerlei Turbulenzen an Bord und umzu. Denn unvermittelt trachtete eine

Dame mit Umhängetasche das fiktive Bühnenschiff zu entern sie gehörte jedoch mitnichten zum Ensemble. Nach gutem Zureden der Regisseurin konnten sich dann alle auf das schwere Wetter und unheimliche Kreuz-Seen konzentrieren, die Geisterschiff und Passagiere gleichermaßen durcheinanderschüttelten. Die choreografische Leistung der bei immer stärker werdendem Wellengang dahinwippenden Schauspieler war beachtlich, zumal ein Orkan das totale Chaos zwischen Reeling und Mast herbeiführte.

Aber was machen drei stinknormale Menschen auf hoher See? Sie sinnen auf Abhilfe. Und wie das in einer Groteske eben so ist, das Segelsetzen mit Handtüchern hat keinen Erfolg, und die gar nicht existente Dieselmaschine gibt auch nur dann einen Mucks von sich, wenn einer der Akteure dazu den Mund aufmacht. So verloren sich die Passagiere wider Willen in Phantasien und absurden Entrückungen. Eine imaginäre Schlangenbeschwörerin mit einem fleddrigen Seil bildete hernach den Höhepunkt der verrückten Simulation eines Kreuzfahrt-Genusses.

„Wir haben Fehler und Schwächen und zeigen unsere Liebe zu diesen menschlichen Eigenschaften“, sagt die Gruppe über sich selbst. Das scheint richtig zu sein. Bestimmt aber liebenswürdig.

Jürgen Francke

Noch Dienstag und Mittwoch, jeweils 20.30 Uhr.