Falls Pinochet beim Volk durchfällt...

Junta-Mitglied zieht Verhandlungen mit der zivilen Opposition in Erwägung / Gewerkschafter verbannt  ■  Von Thomas Schmid

Berlin (taz) - Knapp sieben Wochen, bevor die Chilenen zu einem Plebiszit über die Militärdiktatur aufgerufen werden, faßt nun ein Junta-Mitglied Verhandlungen mit der Opposition ins Auge. Am Samstag erklärte Rodolfo Stange, Chef der paramilitärischen Carabineros-Polizei, einer US-Zeitung gegenüber, die Militärs müßten mit der zivilen Opposition einen Kompromiß über Verfassungsänderungen aushandeln, falls bei der Volksabstimmung das Nein überwiege.

Zwischen dem 5. und 10.Oktober sollen die Chilenen ihr Votum abgeben: Ja oder Nein zum Präsidentschaftskandidaten, den die Militärs dem Volk vorsetzen werden. Am 30.August wollen die vier Oberkommandierenden - Carabineros-Chef Stange, Luftwaffenchef Matthei, Marinechef Merino und Heereschef Pinochet - den Kandidaten küren, der das Land nach Ablauf von Pinochets Amtszeit als Staatspräsident im Frühjahr 1989 für die nächsten acht Jahre regieren soll. Alles spricht dafür, daß die Militärs Pinochet zu Pinochets Nachfolger machen möchten.

So scheint das Plebiszit nicht so sehr ein Votum über einen Präsidentschaftskandidaten zu werden, sondern ein generelles Urteil über Pinochets Diktatur. Von der Rechten bis zu kommunistischen Linken haben sich inzwischen 16 Parteien zum „No“, zum Nein gegen acht weitere Jahre Pinochet, zusammengeschlossen. Pinochet, der nach einer jüngst veröffentlichten Studie für das „Si“, das Ja zu ihm selbst, täglich umgerechnet 620.000 DM für TV-Spots und Anzeigen in der Presse investiert, kann nur auf zwei rechtsextreme Parteien zählen.

Nach Meinungsumfragen zeichnet sich immer deutlicher eine Niederlage der Diktatur ab. Für diesen Fall sieht die Verfassung vor, daß Pinochet als Staatschef noch ein Jahr länger im Amt bleibt und im folgenden Herbst Präsidentschafts-Parlamentswahlen stattfinden.

Daß aber im Fall eines Sieges der Neinsager alles seinen verfassungsmäßigen Gang geht, ist unwahrscheinlich. Falls die Militärs an den Urnen verlieren, könnte sich sehr wohl eine Dynamik entwickeln, die einigen demokratischen Zündstoff enthält. Die Opposition jedenfalls geht davon aus, daß sich dann wesentliche Teile der Militärs von einem gescheiterten Pinochet absetzen und zu Verhandlungen bereit sind, um freie Wahlen zu ermöglichen. Das würde eine Änderung der Verfassung voraussetzen, die Pinochet 1980 plebiszitär verabschieden ließ. Diese schließt die Linken von legaler politischer Betätigung aus und sichert den Militärs eine Mitbestimmung bei allen wichtigen politischen Entscheidungen einer künftigen Regierung.

So spitzt sich in Chile nun alles auf das Plebiszit Anfang Oktober hin zu. Die Massenmobilisierung für das „No“ erreicht wieder die Ausmaße der Protesttage von 1983 und 1984, als die Chilenen in monatlicher Regelmäßigkeit den Rücktritt der Diktatur forderten. Am Samstag versammelten sich in Santiago zwischen 30.000 und 50.000 Jugendliche, um ihr Nein auf die Straße zu tragen. Aber auch das Regime erinnert sich - auf seine Art - an die Zeiten der großen Proteste. Wie damals werden wieder mißliebige Personen in Verbannung geschickt. So wurde der christdemokratische Gewerkschafter Manuel Bustos, Vorsitzender des Gewerkschaftdachverbandes CNT, am Mittwoch auf Beschluß des von Pinochetisten duchsetzten Obersten Gerichts für 541 Tage nach Südchile verbannt. Der Generalsekrtär der Organisation, Arturo Martinez, wurde für dieselbe Zeit in den Norden des Landes in die Wüste geschickt. Trotzdem hielt der CNT am Samstag einen Kongreß ab, auf dem 962 Delegierte von 87 Gewerkschaften die Neugründung des CUT beschloßen, der mächtigen Arbeiterzentrale, die nach Pinochets blutigem Putsch von 1973 aufgelöst wurde.