Cy Twombly & Co. fürs Wohnzimmer

■ Seit 1975 verleiht die Graphothek an Besitzer von Stadtbibliotheks-Benutzerausweisen drei Kunstwerke mit Silberrahmen und Pappkarton für nullkommanix: bildschöne Volksbildung zum Motto „Öfter mal ein neues Bild“

Ich habe einen Stadtplan. Den brauche ich immer bei schwierigen Unterfangen (Termine mehr als 2,5 Kilometer vom Redaktionsschreibtisch). Stadtplangemäß holpere ich also auf durchgeregnetem Fahrradsattel die „Herrlichkeit“ hinunter. Ihre „Herlichkeit“ ist einigermaßen ramponiert. Pfützen und Verbotsschilder. Es endet vor einem Bauzaun. Das war der falsche Weg. Der richtige ist viel einfacher: Mit der Langemarckstraße einfach über die Weser. Es riecht nach Kaffee, Pils und Modder. Sehr hübsch. Mitten auf der Brücke scharf bremsen, vor rotem Backsteingegiebel (Teerhof 20 D, Weserburg). Durch den hinteren B-Eingang hinsuf in den

1. Stock. Dann hat man sie.

Gerd-Peter Patz ist bestimmt auch da. Er ist seit '75 Leiter der „Graphothek“, ein liebenswürdig feingliedriger Diplom-Bibliothekar wie man sich Diplom-Bibliothekare eben vorstellt: ganz klug vom vielen Lesen, irgendwie sozialdemokratisch volksgut, zart altmodisch und bescheiden. Einer, von dem man gern mal ein Bild leiht. Künstlerisch sei er Autodidakt, tiefstapelt Herr Patz ungemein. Inzwischen wird er schließlich schon mal zu Vorträgen nach Genf geladen. Da redet er über „Die Graphothek Bremen. Sammlung, Benutzung und öffentliche Vermittlung von Kunstwerken“ und macht bestimmt einen guten Eindruck.

Bremens Graphothek ist eine von 67 Art-und Graphotheken Bundesdeutschlands mit Berlin, eine die 1987 schon 2448 Kunstwerke besaß (einen Haufen Druckgraphiken, ein paar weniger Unikate, Objekte, Fotos, Sonstwie-Kunst). „Ende '88 sind wir bestimmt bei 2600“, sagt Herr Patz. 100 davon hängen er, der Kollege Joachim Schumacher (ABM-Kunsterzieher im 2. Jahr und besonders schulfreundlicher Ansprechpartner für „Ausstellungen zum Mitnehmen“) und eine weitere 1/2 Feststelle an die paar Wände rund um die 240-Quadratmeter -Kunstwerkstapelfläche der Weserburg. 300 weitere knubbeln hübsch im „Magazin“. Alu-Rahmen dicht an dicht, Acrylglas davor. „Das nimmt zwar etwas die Brillianz, ist aber bruchfest“, sagt Herr Patz. „Und leichter“, sagt der Graphothek-Kunstwerke-nach-Hause-tragen-Benutzer. Daneben Pappkartons mit Tragegriff und weiße Jute -Tragebeutel für Objekte. Ausgereifte Modelle der Serie Kunstwerktransport im öffentlichen Nahverkehr. „Solche praktischen Sachen sind hier ungemein wichtig“, freundlächelt Herr Patz.

Solch praktischen Dingen verdankt Bremens Kunstverleihe wahrscheinlich auch den dritten Rang in der BRD-Graphothek -Verleihstatistik. 1986 wurden in Bremen 7025 Kunststücke für jeweils 8 (bis höchstens 16 Wochen) ausgeliehen. Mehr Kunst tragen bloß die Berliner nach Hause: knapp 10.000 aus der Grapho-, knapp 9.000 aus der Artothek. Auf Rang vier kümmert Köln mit bloß 5980 Ausleihen.

Angefangen hat in Bremen alles 1975, mit einem SPDneuen, damals noch dezentralen Konzept zur „Kunst im öffentlichen Raum“, 150.000 Mark Gesamtetat (davon 100.000 für Kunstkauf), einem Magazin in Gröpelingen (Ausleihe über die 15 Erwachsenen-Bibliotheken Bre

mens) und dem Volk-Bilden Ziel, Bremer Bürgern zeitgenössische Kunst gehörig näherzubringen. Ergab 403 Ausleihen.

Der Bremer Anteil der Kunsteinkäufe, die jährlich von einem Elferrat (Menschen aus Bibliotheken, Kunsthallen, Museen, von Senat, HKM und BBK) beschlossen werden, wurde 1982 auf 50% festgesetzt: schöne Art lokaler Künstlerförderung.

1980 gab es dann die erste zentrale Ausstellungs-und Ausleihestelle in der Weserburg mit einem Gesamtetat von nur noch 95.000 (70.000 zum Kaufen), aber bereits etwa 2800 Ausleihen. 75% der Graphothek-Kunden sind übrigens zwischen 16 und 40 Jahren alt, 55% haben höhere Schulabschlüsse. Sozialstatistische Erhebung finden aber seit '86 wegen zunehmender Auskunftsverweigerung nicht mehr statt.

1986 dann der zweite Umzug in die jetzt größeren Räume, der Etat schrumpfte dazu auf 35.649 (25.000). „Hier ist es eigentlich auch schon wieder zu eng“, sagt Herr Patz. 1989 wird der Teerhof eh bebaut, da braucht man wieder was Neues. „Wir hoffen natürlich auf einen zentralen Standort“, so Patz. Mit 400 Quadratmetern könnte er ganz prächtig arbeiten. „Wir hätten dann auch mehr Platz für Ausstellungen, zu denen Leute ganz unverbindlich mal hereinschauen können.“ Im Augenblick gibt es da nur eine einigermaßen niedliche Wand. An der hängt gerade eine Serie Immendorff.

Die Bilder zum Schöner-Wohnen, Schlauer-Werden, Kunst -Kennenlernen („Wir haben schon ein pädagogisches Konzept“) gibt es ganz umsonst für Besitzer eines Stadtbibiothek -Benutzerausweises. Mit Rahmen und Tragepappkiste. Wer keinen Bibliotheksausweis hat, kriegt für 12,-(ermäßigt 5,-) einen in der Graphothek. Damit kann man dann einen Cy Twombly, einen Beuys, einen David Hockney und ca. 803 an

dere an die eigene Wand tragen. Bis zu drei Kunstwerken auf einmal. Wert ist hinten drauf gedruckt. Für Verlust und Beschädigung muß gehaftet werden. Passiert aber wohl eher selten.

Schulen, Krankenhäuser und sonstige pädagogisch-soziale Institutionen bekommen darüber hinaus „Ausstellungen zum Mitnehmen“, 5-15 Werke zu einem Thema. Etwas mehr Nachfrage aus Lehrerzimmern wäre fein (Tel.: 3612820).

Petra Höfer

Graphothek, Teerhof 20 D, Mo'Di'Do'Fr 13-18 Uhr