Zum Ritter geschlagen

■ Bei Bertelsmann herrschen mittelalterliche Arbeitsbedingungen

Ich traue meinen Augen kaum. Das kann doch nicht wahr sein. Wie man weiß, treibt das moderne Management die seltsamsten Blüten, wenn es darum geht, seine Mitarbeiter zu Höchstleistungen anzuspornen. Der Bertelsmann-Konzern geht dabei ins tiefste Mittelalter zurück: Einer der besonders Erfolgreichen wird vor'm Chef niederknieend - mit einem Schwert auf beide Schultern - zum Ritter geschlagen. Zur Abrundung der Feierlichkeit spielt ein Orchester eigens für den Geschlagenen. Ich sehe zu meinen Nachbarn. Auch er starrt entsetzt auf den Bildschirm. „Hoffentlich spielt dieses Orchester auch bald für Sie“, endet der Videostreifen.

15 Leute hatten sich zu einem Bewerbungsgespräch im Bertelsmann AGVerlag Buch und Wissen in der Reichsstraße eingefunden. „Sind Sie positiv? Dann haben Sie Mut zum Berufswechsel“ war der Tenor der Stellenanzeige in der 'Morgenpost‘: Gesucht werden Mitarbeiter, 24 bis 52 Jahre, zur Betreuung des festen Kundenstammes. Die Vergütungsversprechung: 4.800 Mark als Anfangseinkommen.

Nach dem Videofilm, der außer der denkwürdigen Mitarbeiterversammlung die Ausmaße des Riesenkonzerns und lächelnde Verkäufer bei strahlenden deutschen Saubermann -Familien zeigt, ist das Lächeln auf den Gesichtern der Bewerber mittlerweile ziemlich gequält. Der smarte Verkaufsleiter Ingo Liese - der mit seinen modisch umgeschlagenen Anzugsärmeln die Bewerber wieder in die Zeit modernsten Managements versetzt - erklärt die Mitarbeitermodalitäten, die uns abermals an düstere Zeiten erinnern. Arbeitszeit: Von neun bis 21 Uhr in der Woche und einen Samstag im Monat. 50 Stammkunden die Woche sind per Hausbesuch zu absolvieren. Zu verkaufen ist die Bertelsmann -Lexikothek im Wert von 7.000 Mark und das Deutschlandwerk. Motto: „Wer Karriere machen will, muß investieren.“

Ein Bewerber möchte gerne wissen, wie sich die Vergütung zusammensetzt: Ob die Arbeit nur nach Provision bezahlt wird oder ob es ein Fixum gibt. Da wird der freundliche Verkaufsleiter ungemütlich: „Wir diskutieren hier Sachen, die wir hier nicht klären wollen. Sie müssen mir da schon Vertrauen schenken.“ Und wer dies nicht tue, könne ja den Raum verlassen. Eine Dame fragt in Bezug auf die Rentenregelung: „Wie ist das, wenn ich 59 Jahre bin?“ „Dann sieht man Ihnen das jedenfalls nicht an.“ Der Verkaufsleiter ist der einzige, der lacht.

Mit jedem kritischen Frager lichtet sich die Zahl der Bewerber zusehends. So erfahren nur wenige, wie sozial der Bertelsmann-Verlag ist: 50 Prozent Zuschuß zur Krankenversicherung gibt es. „Die sozialen Leistungen verpflichten natürlich, die Arbeitszeiten auch wirklich einzuhalten“, appelliert Ingo Liese an die verbleibenden Bewerber, und „nicht dem inneren Schweinehund nachzugeben“. Der „geht meist lieber baden, als bei den Kunden zu sitzen“, weiß der Ausbildungsleiter Rainer Lahn. Und das sei auch der Grund für's Versagen.

Den vertraulichen Bewerbungsbogen füllen dann nur noch fünf ältere Bewerber aus, die keine Kündigungsfristen in ihrem bisherigen Job einzuhalten haben. Diese neuen „Mitarbeiter“ sind dann freie Handelsvertreter nach HGB84. Vielleicht lachen auch ihre Konterfeis eines Tages von der angegilbten Wand des Verlags Buch und Wissen: die Erfolgreichen des Monats. Wenn Sie nicht so viele „Gipsköpfe - Bertelsmann Stammkunden, die sich nicht beraten lassen wollen“ (Verkaufsleiter Ingo Liese) - unter ihren Adressaten haben, daß nach drei Monaten Probezeit die Zusammenarbeit mit Bertelsmann „keine Grundlage mehr hat“.

Gitta Düperthal