Argentinien steuerlos im Strudel der Verschuldung

Hektische Aktivitäten zur Haushaltssanierung /Schuldentilgung beim IWF durch Kreditaufnahme beim US-Schatzamt /Sparprogramm funktioniert nur mit Preisstabilität  ■  Von Leopoldo Marmora

Als Anfang August die argentinische Regierung beschloß, die Banken für drei Tage zu schließen, war es soweit: Eine schon seit Wochen erwartete letzte Rettungsaktion für die regierende UCR hatte begonnen.

Die Teuerungsrate war im Juli bei monatlich 25 Prozent (auf Jahresbasis 380 Prozent) angekommen. Eduardo Angeloz, der nominierte Präsidentschaftskandidat der regierenden UCR für die kommenden Wahlen im Mai 1989, hatte sich schon wiederholt besorgt zur wirtschaftlichen Entwicklung geäußert. In demselben Maße, in dem die Preise stiegen, sah er seine Erfolgsaussichten bei den Wahlen schwinden. Um nicht in das klägliche Ende der Regierungszeit seiner eigenen Partei mit hineingezogen zu werden, müsse er rieten ihm seine politischen Berater - spätestens im Dezember den Rücktritt des Wirtschaftsministers verlangen und somit offen gegen seinen Parteifreund, den amtierenden Präsidenten Alfonsin, rebellieren.

Obwohl der Wirtschaftsminister Souroille erst im September einen neuen Stabilisierungsplan starten wollte, mußte er jetzt - angesichts einer für August drohenden monatlichen Inflation von über 30 Prozent - sofort handeln. Denn gerade die Erwartung eines neuen Antiinflationsprogramms (mögliche Preiskontrollen und eine Abwertung des Australs) hatte dazu geführt, daß sich der Run auf den Dollar verstärkte und daß die Unternehmer ihre Preise im voraus heraufsetzten, um für spätere Verhandlungen mit der Regierung über Einfrierung der Preise ein „Polster“ zu haben. Unter dem Druck des IWF, das Staatshausdefizit von 7,2 auf 2,9 Prozent des BIP zu reduzieren, beteiligte sich auch der Staat an dieser Anheizung der Preisentwicklung: Die Tarife für öffentliche Dienstleistungen (Telefon, Transport etc.) stiegen schon seit Ende 1987 überdurchschnittlich. Zudem war in den Wochen vor dem neuen Programm eine Abwertung von 20 Prozent vorgenommen worden. Die Schließung der Banken nun diente dazu, die Devisenspekulation bzw. eine massive Flucht in den Dollar, wie sie vor Ankündigung der dann erfolgten neuerlichen 11,4prozentigen Abwertung des Austral zu erwarten war, in Grenzen zu halten.

Im Gegensatz zu den Gewerkschaften (die Durchschnittslöhne lagen in Juni 15 Prozent unter dem Niveau des Vorjahres) hatten sich Unternehmer und Staat ein „Polster“ zugelegt. Mit diesem Vorteil im Rücken vereinbarten der Dachverband der Industrie und das Wirtschaftsministerium die nun am 3.August als „Frühlingsplan“ amtlich verkündeten Maßnahmen. Außer der erwähnten Abwertung wurde als eigentlicher Kern des neuen Wirtschaftsprogramms vereinbart, daß die Unternehmer die Preise bis Mitte des Monats auf das Niveau vom 2.August einfrieren sollten. Danach dürften sie sie bis Ende September um maximal 3,5 Prozent monatlich anheben. Im Gegenzug versprach ihnen die Regierung, a) effektive Maßnahmen zur Haushaltssanierung zu ergreifen und somit eine Senkung des Zinsniveaus zu bewirken, und b) den Wechselkurs ab April 1989 sukzessiv völlig zu liberalisieren. Als einziges großes Land Lateinamerikas soll Argentinien dann eine frei flottierende Währung besitzen.

Zu den angekündigten Maßnahmen zur Haushaltssanierung gehören: Die Streichung zahlreicher Infrastrukturprojekte; die Entlassung von circa 30.000 Beschäftigten aus dem öffentichen Sektor bzw. ihre Übernahme durch den privaten Sektor.

Dieses Programm ist auf die Freiwilligkeit seitens der Unternehmerschaft angewiesen und zeigt, in welchem Ausmaß der argentinische Staat im Strudel der Verschuldungskrise seine Steuerungsfähigkeit in den vergangenen Jahren verloren hat. Die Überwachung der Wirtschaftsentwicklung durch den IWF findet nicht mehr alle sechs Monate, sondern seit Juli 1987 nun zweimonatlich statt. Begründet wurde dies damit, daß so die Tranchenauszahlungen öfter getätigt werden könnten. Aber in Folge wurden diese keineswegs - wie versprochen - alle zwei Monate ausgezahlt, sondern weiterhin nur mit großen Verzögerungen.

Die Lücke, die dadurch zwischen Vereinbarung eines IWF -Kredits und seiner effektiven Auszahlung klaffte, mußte immer wieder durch Überbrückungskredite des US-Schatzamtes gefüllt werden. Dadurch wiederum verstärkte sich der direkte politische Druck der US-Administration auf die Regierung Argentiniens. Dieser Druck zielt auf die Privatisierung staatlicher Unternehmen, die Erhöhung der Tarife öffentlicher Dienste, auf die Kürzung der Staatsausgaben, die Öffnung des Außenhandels und die Abwertung der Landeswährung bzw. die völlige Liberalisierung des Devisenhandels. Wegen des Preisrückgangs der argentinischen Exporte geriet das Land 1987 in Zahlungsschwierigkeiten, stieg die interne Verschuldung des Staates und konnten die mit dem IWF vereinbarten Ziele nur teilweise erfüllt werden; daraufhin setzte der IWF die vereinbarten Auszahlungen aus und verzögerte selbst Kredite der sogenannten schwachen Konditionalität (etwa der Kompensationsfazilitäten für Exporteinbußen). Diese vereinbarten Fazilitäten waren ohnehin nicht ausreichend, um die erlittenen Exportverluste, deren Gründe eindeutig außerhalb der argentinischen Verantwortlichkeit lagen, zu kompensieren: Die Exportverluste des Jahres 1987 beliefen sich auf circa 2.000 Millionen Dollar; der gesamte Kompensationskredit betrug aber nur 950 Millionen.

Seitdem die Gewerkschaften sich die Tarifvertrags-autonomie erkämpft haben, steht der Regierung das Mittel der staatlichen Preis- und Lohnverordnungen politisch nicht mehr zur Verfügung. Nur zwei Trumpfkarten hatte sie zuletzt noch in ihrer Hand, um wenigstens den großen Industrieunternehmern das Versprechen der freiwilligen Preisdisziplin bis zu den Wahlen im Mai zu entlocken: ihre Angst vor einem Sieg der Peronisten bis zu den kommenden Wahlen und die unerwartete Dürre in den USA, die zur Zeit die internatinalen Preise der argentinischen Getreideexporte hochtreibt. Die infolge dessen für 1988 zu erwartenden hohen Außenhandelsüberschüsse geben der Regierung einen kleinen Spielraum, um die vom Dachverband der Industrie geforderte Entlastung des Staatshaushalts durch eine Besteuerung der Agrarexporte zu finanzieren.

Wenn im kommenden Jahr die Amtszeit des Ende 1983 angetretenen Präsidenten Alfonsin zuende geht, Wahlen stattfinden und er seinem Nachfolger die Regierung überträgt, so wird dies seit 60 Jahren zum ersten Mal geschehen: Denn seit 1928 wurde in Argentinien kein demokratisch gewählter Staatspräsident von einer anderen ebenso frei gewählte Person in seinem Amt abgelöst. Vorher haben immer die Militärs geputscht.

Dies wird der Regierung als ihre größte, keineswegs zu unterschätzende Leistung angerechnet. Auf fast allen anderen Gebieten, besonders aber im wirtschaftlichen und sozialen Bereich, hat sie nur Negatives zu verbuchen. Alfonsins so glanz- und erwartungsvoll begonnene Amtszeit droht in einem sozialen und ökonomischen Chaos zuende zu gehen (in den letzten drei Jahren verlor der Austral gegenüber dem Dollar das 17fache seines Wertes). Der Stabilisierungsplan, der den Zweck verfolgt, die Inflation bis zu den Wahlen unter zehn Prozent monatlich zu drücken, ist nur aus kurzfristigen wahltaktischen Überlegungen konzipiert worden. Aber selbst dieses bescheidene Ziel ist stark gefährdet. Mit der Entschlossenheit des US-Schatzamtes, dem Wirtschaftsminister und seiner Mannschaft mit Überbrückungskrediten weiterhin die Stange zu halten, ist zwar zu rechnen. Der Erfolg des „Frühlingsplans“ hängt aber letzten Endes am seidenen Faden: Sind die mächtigen argentinischen Industriellen bereit, wenigstens bis kommenden Mai freiwillig Preisdisziplin zu üben?