Burundis Armee setzt Massaker an Hutus fort

Im Norden des ostafrikanischen Militärstaates tobt ein Krieg / Die herrschende Minderheit der Tutsi nutzt vorausgegangenen Aufstand der Hutu-Bauern, um Vergeltung zu üben / Tausende Tote / Täglich 5.000 Hutu-Flüchtlinge nach Ruanda / Ausnahmezustand verhängt  ■  Von Knut Pedersen

Paris (taz) -- Wer massakriert wen im Norden Burundis, wo im Laufe einer Woche vielleicht mehrere Zehntausend Menschen Opfer ethnischer Konflikte geworden sind? Noch am Sonntag erklärte ein „hoher Staatsbeamter“ der französischen Nachrichtenagentur afp in Bujumbura, daß „mindestens 24.000 Tutsi“ von entfesselten Hutu abgeschlachtet worden seien.

Mit Macheten, Lanzen und Keulen hatten sich - nach Darstellung der anonymen Regierungsquelle - die Hutu, die mehr als 80 Prozent der burundischen Bevölkerung repräsentieren, auf die herrschende Minderheit der Tutsi gestürzt. Die Gefahr im Norden sei noch nicht vollständig ausgestanden, aber „die Situation ist im Begriff, normalisiert zu werden“, erklärte der Staatsbeamte. Nach Angaben von Hutu-Flüchtlingen im benachbarten Ruanda ist aber gerade die gegenwärtige Pazifizierungskampagne der Armee das eigentliche Massaker.

Die fast ausschließlich von Tutsi gestellten Streitkräfte gäben sich grausamsten Ausschreitungen hin, berichten übereinstimmend die inzwischen rund 35.000 Hutu-Flüchtlinge im Süden Ruandas. „Es sind mehr Leute getötet worden als fliehen konnten“, erklärte eine Überlebende, deren drei Kinder von Tutsi-Soldaten mit dem Bajonett abgestochen wurden.

Unglaubliche Grausamkeit kennzeichnet auf beiden Seiten die Berichte über den neuerlichen Ausbruch tiefsitzenden Hasses. Bereits mehrmals in der jüngsten Vergangenheit - 1965, 1969, 1972 und 1973 - haben aufständische Hutu-Bauern versucht, ihre Mehrheitsrechte gegenüber der feudalen „Kriegerkaste“ der Tutsi gewaltsam einzuklagen. Jedes Mal wurden sie Opfer unvorstellbaren Gegen-Terrors: In den dramatischen Ereignissen im Frühsommer 1972 sind selbst nach Darstellung der burundischen Militär-Regierung mindestens 100.000 Hutu umgekommen. Unabhängige Quellen schätzen die Zahl der Vergeltungsopfer auf mehr als das Doppelte und sprechen von einer „selektiven Enthauptung“ der Hutu-Intelligenz: Jeder, der lesen und schreiben oder sonstwie Anspruch auf Teilnahme im Staatsapparat stellen konnte, sei Opfer der Tutsi geworden. Die hoch aufgewachsenen, oft zwei Meter großen Tutsi sind äthiopisch-nilotischen Ursprungs und haben die an den Ufern der ostafrikanischen Seenkette angesiedelten Bantu -Bauern im 13.Jahrhundert „kolonisiert“. Die feudalen Abhängigkeitsbeziehungen zwischen beiden Ethnien wurden trotz gemeinsamer Sprache und Kultur - von den belgischen Kolonialherren ausgenutzt und in moderne Rivalitätsmuster um staatliche Hegemonie umgedeutet.

Es ist kaum wahrscheinlich, daß binnen Wochenfrist 24.000 Tutsi dem Zorn der Hutu zum Opfer gefallen sind. Denn ein Bauernaufstand hat nicht Bomben oder chemische Kriegsführung als Mittel. Täglich kommen rund 5.000 Hutu-Flüchtlinge über die Grenze nach Ruanda. Viele von ihnen sind verletzt, während andere berichten, daß die „pazifierenden“ Tutsi -Soldaten ohne Vorwarnung das Feuer auf die Bevölkerung eröffnen. Hutu-Dörfer seien von Kampfhubschraubern aus wahllos beschossen und ganze Familien mit Bajonetten niedergemetzelt worden. Entlang den Ufern des Grenzflusses Akanyaru zwischen Burundi und Ruanda werden täglich Dutzende von Leichen angeschwemmt.

Diese Augenzeugenberichte sind gestern in einem Telefoninterview vom Delegierten des Hochkommissariats der Vereinten Nationen für Flüchtlinge (HCR) vor Ort bestätigt worden. Code Cisse, der von der südruandischen Stadt Butare aus die Hilfsoperationen in drei Flüchtlingslagern organisiert, berichtet von zahlreichen Verletzten - Opfer von Schußwunden oder Stichwaffen -, die sich über die Grenze gerettet haben. Rund die Hälfte der 35.000 Flüchtlinge seien Kinder unter zehn Jahren. Die Erwachsenen sprechen von barbarischen Ausschreitungen der Staatsarmee.

Deren „Rachefeldzug“ sei durch Massaker am Wochenende des 13./14.August ausgelöst worden. Nach einer mißlungenen Festnahme, bei der zwei Hutu erschossen worden waren, habe die wütende Dorfmenge zunächst die Gendarmen gelyncht. Der Vorfall habe dann schnell um sich gegriffen, und der Haß der Hutu habe sich schließlich wahllos gegen alle Tutsi gerichtet. „Wer immer einen Kopf größer war, wurde abgestochen oder totgeschlagen“, schilderte gestern ein Augenzeuge im Telefoninterview mit der taz. Seinen Angaben zufolge seien „rund tausend Tutsi“ von aufgebrachten Hutus ermordet worden.

Angesichts des seit Donnerstag über das ganze Land verhängten Ausnahmezustandes und strikter Reisebeschränkungen gibt es vorläufig keine unabhängigen Augenzeugenberichte. Aber der Verdacht ist begründet, daß die spontanen Ausschreitungen nunmehr systematisch vergolten werden. Die von internem Zwist geschwächte Tutsi-Macht scheint das militärisch sichern zu wollen, was politisch kaum mehr haltbar ist.

Der neue „starke Mann“, Colonel Pierre Buyoyo, ist erst seit knapp einem Jahr an der Macht. Am 3.September 1987 hatte er seinen Vorgänger, den Colonel Jean-Pierre Bagaza, in einem unblutigen Staatsstreich entmachtet. Aber solcherlei Kabale und Intrige im Serail der Tutsi-Elite ist für die Masse der machtlosen Hutu ohne Belang: Elf Jahre unter Bagaza haben hier ebenso wenig verändert wie elf Monate unter Buyoyo. Kaum verwunderlich ist hingegen, daß einmal mehr der Norden versuchte, sich des Jochs zu entledigen. Im Norden Burundis hat man das gelungene Beispiel vor Augen: Im nachbarlichen Ruanda, dessen ethnische Zusammensetzung identisch ist, wurde die Tutsi -Aristokratie bereits 1959 entmachtet...