Unglaubwürdig-betr.: Nicaragua-Demo in Frankfurt

betr.: Nicaragua-Demo in Frankfurt

Nach mehreren Jahren Abwesenheit wieder einmal auf Urlaub in der BRD und auf Durchreise in Frankfurt hatte ich an der Frankfurter Uni die freudige Überraschung, eine Nicaragua -Demo angekündigt zu sehen. Erwartungsvoll fand ich mich zum angegebenen Zeitpunkt und Ort ein und lief solidarisch mit bis nach knapp einer Stunde mich eine Teilnehmerin plötzlich in unmißverständlich drohendem Ton aufforderte, „endlich abzuhauen“ denn „wir brauchen hier keine Bullen“. Kaum hatte ich dazu angesetzt, den Irrtum aufzuklären, als ich auch schon die Hand eines anderen Demonstranten auf der Schulter spürte, der mich mit den Worten „na mach schon, was die sagt“ sanft aber bestimmt aus dem Zug schob. Da mir augenblicklich klar wurde, daß in einer derartigen Situation jeder weitere Klärungsvesuch zwecklos ist, ich überdies Tätlichkeiten verabscheue und last but not least der auf den Gehsteigen und in einsatzbereiten Wasserwerfern in lächerlich überproportionaler Stärke postierten Hessischen Landespolizei keinen Vorwand zum „Eingreifen“ liefern wollte, blieb mir nichts anderes übrig, als traurig und frustriert von dannen zu ziehen: Frustriert über die Verkennung meines solidarischen Beitrags, und vielleicht auch über das mir so entgangene anschließende Solidaritätsfest, traurig darüber, einem Staat anzugehören, in dem anscheinend Anlaß besteht, daß Teilnehmer einer genehmigten Demonstration Bespitzelung befürchten müssen, vor allem aber schockiert darüber, daß es in der deutschen Linken offensichtlich Leute gibt, denen so viel schiere Menschlichkeit abgeht, daß sie ein unbekanntes Gesicht kurzerhand als „Bullen“ identifizieren und ohne den Ansatz einer Dialogbereitschaft aus dem Zug verweisen. Grotesk, wenn es sich dabei um jemand handelt, der schon in „echten“ faschistischen Staaten als Demokrat Leib und Beruf riskierte, als viele der anwesenden Demonstranten noch nicht geboren waren ...

Das Recht zur Verteidigung, das Recht, angehört zu werden, um einen Irrtum aufzuklären, ja, das Recht, sich zu identifizieren, sollte so selbstverständlich sein, daß es keiner Erwähnung bedarf. Wer es nicht zugesteht, macht sich nicht nur selbst unglaubwürdig, sondern diskreditiert die Sache, für die er einzutreten vorgibt.

Aber vielleicht kann ja die nicht stattgefundene Diskussion darüber noch nachgeholt werden - zum Beispiel auf einem der nächsten Nicaragua-Feste in Lissabon (jedes Jahr Mitte Juli im Hof der ARCO-Kunstschule): möglicherweise können von portugiesischer Gastfreundschaft, lateinischer Toleranz und südländischer Diskutierfreudigkeit sogar Frankfurter Spontis noch etwas lernen ...

R.R., Hochschullehrer, Lissabon