: Autonome: Verhindern wir den Kongreß
Nach langem Hick-Hack endlich Einigung über autonome Aktionen zur IWF-Weltbank-Tagung / Von der „reinen Linie autonomer Politik“ ■ Von Till Meyer
Berlin (taz) - Fünf Wochen vor der Zusammenkunft der „Agenten des Großkapitals“ aus 151 Ländern zur Jahrestagung von Internationalen Währungsfonds (IWF) und Weltbank (WB) vom 27. bis 29.September in West-Berlin hat sich ein Großteil des bunten Spektrums autonomer und antiimperialistischer Gruppen auf eine gemeinsame Aktionslinie gegen die Banker-Zusammenkunft einigen können. Quer durch die Republik mobilisiert die Szene für eine „massenhafte Beteiligung“ an vier geplanten „Aktionstagen“, einschließlich einer Demonstration am 29.September, dem Schlußtag des IWF-Kongresses. Bis es zu einem einheitlichen Konzept kam, wurde allerdings in etlichen Vollversammlungen auf das heftigste darüber diskutiert, was man der „Zusammenrottung des Großkapitals“ überhaupt entgegensetzen könnte. Noch vor kurzem gab es harsche Schelte von den eigenen GenossInnen „über den schlechten Stand der Vorbereitungen“. Kritisiert wurden vor allem jene, „die schon seit einem Jahr den IWF-Kongreß verbal verhindert haben“, ohne in der Lage zu sein, dafür auch ein Konzept vorlegen zu können. „Es ist eine absolute Schweinerei und politische Dummheit, den Genossen die desolate Situation der Kampagne verheimlichen zu wollen“, schimpfte noch vor sechs Wochen ein „autonomer Mitbürger“ mit Blick auf eine völlig orientierungslos verlaufene Vollversammlung zu IWF und Weltbank in dem Kreuzberger Kiezblatt 'interim‘.
Aber nicht nur die Frage nach den angemessene Widerstandsformen bereitete Kopfzerbrechen, sondern auch die Bündnisfrage. „Die Kiezdemo vom 1.Mai '88 mit 7000 Beteiligten hat doch auch zum Ausdruck gebracht, daß die autonome Linke stark genug ist, eine eigene Kampagne mit revolutionären Inhalten zu führen“, begründet ein Autonomer die klare Abgrenzung zu „Revis und Reformisten“.
Die schlappen Revis
Die deutliche Abgrenzung ist inzwischen Konsens. In ihrem Aufruf erklären die Autonomen ihren Alleingang so: „Ein breites Spektrum reformistischer Gruppen von den Jusos bis zum BUKO organisieren einen Gegenkongreß und als Abschluß eine Großdemonstration vor Beginn der Tagung. Die Analysen, die auf diesem Gegenkongreß vorgetragen werden sollen, verstehen sich als Kritik an der Politik von IWF und WB in deren Auswüchsen, das Bestreben ist, diese Institutionen zu reformieren. Forderungen - und Motto der Großdemonstration sind sofortige Schuldenstreichung und eine gerechte Weltwirtschaftsordnung. Eine Reform der Institutionen kann im Sinne von Modernisierung und Anpassung an veränderte Bedingungen zwar erfolgen, am Charakter ihrer langfristigen Politik ändert das jedoch nichts.“
Verkürzte Politik werfen die Autonomen den reformistischen Gruppen in einem weiteren Punkt vor: „Dieses Spektrum unterstützt soziale Bewegungen und mitunter auch bewaffnete Befreiungsbewegungen in der 'dritten Welt‘, thematisiert aber nicht den Angriff auf das Kapital in den Metropolen. Die Kämpfe der Trikontvölker werden als reformistisch begriffen (mit Trikont sind die Länder Asiens, Lateinamerikas und Afrikas gemeint, d.Red.). Die Notwendigkeit, das System in seinen Metropolen anzugreifen, und so für die Befreiung auch der 'dritten Welt‘ zu kämpfen, wird nicht gesehen.“ Dieser klaren Abgrenzung wird aber hinzugefügt: „Wir begrüßen jedoch die Initiative aller Gruppen, auch derer aus dem Reformerspektrum, die sich zu den Aktionstagen verhalten werden, aufs schärfste.“
Die City wird besucht
Und noch ein weitere Punkt sorgte für heftige Debatten: die Staatsgewalt. „Wo immer wir uns auch sammeln, wir werden es massiv mit den Bullen zu tun bekommen“, lautete die zweifellos richtige Einschätzung auf den Plena. Das brutale Auftreten der Sonder-Truppen des Innensenators Kewenig am vergangenen 1.Mai in West-Berlin hat Spuren hinterlassen. „Wir können uns aber jetzt nicht aus Angst vor den Bullen lähmen lassen, sondern müssen uns so gut schützen, wie es möglich ist“, heißt es in einem internen Papier der Autonomen. „Ob Kewenig nun Kreuzberg wieder absperrt und die U-Bahn anhält oder nicht, er wird es nicht verhindern können, daß wir die City besuchen.“ Im weiteren gibt das Papier auch praktische Tips. So werden all „jene Genossen, die gefährdet sind, während der Tagung mittels des Allgemeinen Sicherheits- und Ordnungsgesetzes (ASOG) für einige Tage hinter Gitter zu kommen“, aufgefordert, sich doch rechtzeitig einen cooleren Wohnsitz zu suchen.
Der jetzt erschienene Aufruf, der am kommenden Samstag auf einem bundesweiten Treffen der autonomen und antiimperialistischen Gruppen in West-Berlin diskutiert wird, beginnt mit kurzen Analysen über die Funktion von IWF und WB im kapitalistischen System und stellt dann auf vier Doppelseiten das inhaltliche Konzept der Aktionstage vor: „Im September '88 kommen sie alle hier her: die Finanzchefs aus den kapitalistischen Zentren von Tokio, Frankfurt bis New York; die Bankmanager von Chase Manhattan bis zur Deutschen Bank; die Schreibtischtäter aus den Schaltzentralen der Multis Toyota, Lockheed, Siemens. ...Die Ausgangslage ist klar: Die Verantwortlichen für Hunger, Ausbeutung, Terror und Kriege auf der ganzen Welt kommen in diese 'Hauptstadt der Freien Welt‘. Unser Motto: Verhindern wir den Kongreß!“
Action and Satisfaction
Der erste Aktionstag steht unter dem Motto „Kampftag gegen den Zwang zur Arbeit / Frauenarbeit als Grundlage für Herrschaft und Ausbeutung“. Ein Schwerpunkt soll dabei die unbezahlte Hausarbeit sein. „Das kapitalistische System lebt von der Ausbeutung menschlicher Arbeit. Gearbeitet wird Tag für Tag, zu jeder Zeit und überall, nur ein Bruchteil wird als Lohnarbeit geleistet“, heißt es in dem Konzept. Und weiter mit Blick auf Aktion vor Ort: „Weltbank und IWF sind nur zwei von vielen Instrumenten, mit denen das Kapital den Zwang zur Arbeit weltweit durchzusetzen versucht. Andere Firmen bzw. Institutionen, über die wir hier tagtäglich mit entlohnter und unentlohnter Arbeit konfrontiert sind, wollen wir in einer öffentlichen Aktion an dem ersten Aktionstag benennen und politisch angreifen. Wir planen eine Großkundgebung am Breitscheidplatz. Hier befinden sich Sklavenhändler, Kaufhäuder, Krankenversicherungen, Fast-Food -Buden, Porno-Kinos, Fluggesellschaften. (...) Wir halten eine gut vorbereitete, vielschichtige Mobilisierung für die politische Offensive, um die Kundgebung gegen ein Verbot der Bullen zu schützen.“
Für den gleichen Tag rufen die Anti-AKW-Gruppen dazu auf, in die Siemensstadt zu kommen: „Am 26.September werden wir mit zentralen Aktionen den Siemenskonzern in Siemensstadt ein wesentlicher Profiteur der IWF/WB-Politik - ins Handwerk pfuschen.“ Öffentlichkeitswirksam soll auf die Verwicklung des Multis in internationale Unterdrückung und Ausbeutung hingewiesen werden: „Siemens steht für uns exemplarisch für eine lebensfeindliche, patriarchalisch-kapitalistische Organisation von Arbeits- und Lebensbedingungen. Mit den Aktionen wollen wir Konzernstrategien thematisieren und praktischen Widerstand drinnen und draußen dagegen entwickeln.“
Der zweite Tag soll ein „Aktionstag gegen Bevölkerungs- und Entwicklungspolitik, Rassismus und Sexismus“ werden. Die Themenschwerpunkte: Überbevölkerung in der Dritten Welt; Geburtenkontrolle in Puerto Rico; Paragraph218; Ausländerfeindlichkeit; humangenetische Beratungsstellen; Bevölkerungspolitik. In dem Papier wird dazu ausgeführt: „Überbevölkreung im Sinne des Kapitals heißt: über-flüssig für die Erwirtschaftung von Profiten, über-flüssige Esser und über-flüssig, weil Unruhepotential. Weder Hungerkatastrophen noch Massenelend sind naturgegeben. Sie sind vielmehr beabsichtigtes Ergebnis einer imperialistischen Weltpolitik, in der IWF und Weltbank eine Schlüsselfunktion einnehmen.“
Aufgerufen wird zu vielfältigen Aktionen an verschiedenen Orten. Morgens zur Flughafen-Besetzung nach Tegel, wo die Banker ankommen. Mittags eine kurze Demonstration und Kundgebung vor dem Chemiekonzern Schering im Wedding und am Nachmittag eine Kundgebung vor dem „Institut für Entwicklungspolitik“ in der Fraunhofer Straße. Und schließlich will man abends noch zur Oper und an die Philharmonie, denn dort wollen sich auch die Banker zur Gala -Aufführung einfinden.
„Ausbeutung und Herrschaft im Alltag angreifen, revolutionäre Gegenmacht aufbauen“ ist das Leitmotto für den dritten Aktionstag. „Wir wollen den Kongreßablauf stören, insbesondere aber alltägliche Unterdrückungsstrukturen benennen und den (oft unsichtbaren) Widerstand und die Verweigerung, die dagegen läuft, zuspitzen und aufzeigen, daß dieses System in seiner scheinbaren Allmacht überall angreifbar ist. Das heißt vor allem: Kollektive Aneignung: 'Nehmen wir uns, was uns sowieso gehört‘ - gezielte Störung: 'Sand im Getriebe der Macht‘.“
Auf vielfältige Aktionsideen unter der Devise „Aneignen, Zerstören, Feiern“ folgt die Ankündigung des „offiziellen Programms“ für den dritten Tag: Um 8 Uhr 30 will man Arbeitslose vor dem Arbeitsamt in der Kreuzberger Charlottenstraße „begrüßen“. Der normale Ablauf soll aber nicht gestört, sondern lediglich „etwas aufgelockert werden“. Danach will man der Ausländerpolizei in der nahegelegenen Puttkammerstraße einen Besuch abstatten, um sich dann vor dem Gebäude der AOK am Mehringplatz zu einer Kundgebung zu versammeln. Ein volles Programm, denn danach geht es in die Geschäftsviertel der City. Am Nachmittag will man sich vor den großen Kaufhäusern zum „Kaufhausbummel“ treffen, um antikapitalistische „Phantasie walten zu lassen“. Die Kollektivbetriebe sind aufgerufen, einen Auto -Korso zur Deutschen Bank am Ernst-Reuter-Platz zusammenzustellen.
Das Abendprogramm ist dezentral geplant: „Wieder auf den Ku -damm oder zu den nahegelegenen Kultstätten, um die Bonzen beim Relaxen und edlen Speisen zu stören.“
Für den vierten Tag, sofern die Staatsgewalt bis dahin nicht zu massiv dazwischengekommen ist, wird „eine starke internationalistische revolutionäre Demonstration gegen IWF und Weltbank“ geplant. Allerdings ist die Planung einer eigenen Demonstration bislang noch umstritten. In der Diskussion ist alternativ dazu auch noch eine Beteiligung an der Demonstration „der Reformer“ am 25.September.
So vehement sich die Autonomen auch gegen die Reformisten abgrenzen - nahezu an allen Zielpunkten ihrer Aktionstage ist die „reine Linie autonomer Politik“ allerdings schwer gefährdet. Neben der Polizei werden sich auch die so geschmähten „Reformisten und Revis“ einfinden, denn deren Pläne für ihre Aktionstage steht nicht nur unter dem selben Motto, sondern ihr Protest findet auch an den gleichen Orten statt, zur gleichen Zeit.
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