Die Schlacht von Kerbala an der Grünen Linie

Am neunten Tag der Ashoura-Zeit führen Laiendarsteller der Hizb'allah in Beirut die Schlacht von Kerbala auf / Die Handlung ist der Verständnisschlüssel zum schiitischen Glauben / Kunst im Dienste der islamischen Revolution  ■  Auf Beirut Petra Groll

Drei Stunden schon dauert die Schlacht der Gefolgschaft Husseins gegen die Übermacht der Yazziden, die Ermüdung des Publikums wird immer deutlicher, schon zum zweiten Mal heult die Sirene einer Ambulanz über den Platz, eine Frau im Tschador liegt reglos auf der Bahre. Drei Stunden in der brennenden Augustsonne, verhüllt in einige Meter tiefschwarzen Polyesters, waren des Guten zuviel. Zwei, vielleicht dreitausend Zuschauer sind am Sonntag nachmittag, dem neunten Tag der „Ashoura-Zeit“ gekommen, um das Spektakel der Schlacht von Kerbala zu verfolgen, das von einer Laienspielgruppe der Hizb'allah (Partei Gottes) vorgetragen wird.

Hinter der Moschee von Bir-el-Arbed, in den südlichen Vororten der libanesischen Hauptstadt Beirut, ist in den vergangenen Tagen ein fußballfeldgroßes Terrain im Brachland an der „grünen“ Demarkationslinie planiert worden. Kerbala, historischer Schauplatz im heutigen Nordirak, Ursprungsort des Schiismus, ist für diesen Nachmittag die rote Erde unterhalb der Ostbeiruter Hügel, deren Kuppen majestätisch von den Kirchen der libanesischen Maroniten behauptet werden. Die farbigen Kostüme der Darsteller nehmen sich prächtig aus, weiß, schwarz und grün die Gewänder Husseins und seiner Mannen, gelb-rot die Uniformen der angreifenden Yazziden.

Die Handlung, Verständnis-schlüssel zum schiitischen Glauben, ist schnell erzählt: es ist der Höhepunkt im Streit um die Führung der moslemischen Glaubensgemeinde nach dem Tod des Propheten Mohammed.

Einerseits beansprucht Hussein, ein Enkel Mohammeds, das Khalifat, andererseits Yazzid, ein Sohn des Moawya, Gründer der Omayaden-Dynastie von Damaskus. Im Jahr 61 der Hirjjra (680 ad.) kommt es schließlich zur Schlacht von Kerbala. Die Schiiten glauben an die legitime Führung Immam Husseins, der nach zehntägigem Kampf den Märtyrertod stirbt. Sein Kopf wird auf einer Lanze nach Damaskus getragen, nur ein zum Zeitpunkt der Schlacht kranker Sohn, Zein Abd-Edin, überlebt das Massaker und wird Stammvater.

Die Stunden ziehen sich, das Publikum von Bir-el-Arbed, mindestens dreimal soviel Frauen wie Männer, das während des größten Teils der Vorführung im Schatten der Ruine einer alten Ölmühle gehockt hat, ist aufgestanden, den letzten Akt zu verfolgen. Hussein stirbt als letzter mit Untergang der Sonne. Mit Verebben des Schlachtlärms tönt das dumpfe Echo von vielen Hundert Handflächen über den Platz, die auf Brust und Schultern geschlagen werden. Die Geste von Trauer und Schmerz, mit der die Männer Jahr um Jahr des Märtyrertodes ihres Immam Hussein gedenken. Der erste von insgesamt zehn Tagen Ashoura ist gleichzeitig der erste Tag des neuen Jahres im moslemischen Kalender. Die moslemischen Schiiten beginnen so ihr Jahr in Trauer und Schmerz, selbst kleinen Kindern wird schwarze Kleidung angelegt.

„Wir, Hizb'allah, die Partei Gottes, wir sind heute die Gefolgschaft Husseins, wir verteidigen den legitimen, den wahren Glauben gegen die Übermacht der Agressoren, der Verräter, gegen den Verräter Sadam Hussein, gegen den Verräter Nabih Berri und seine Leute“, erklärt ein Vertreter der Hizb'allah-Informationsbüros den Journalisten. Der Waffenstillstand im Golfkrieg, so erläutert der Mann, ist nur eine Phase unserer Revolution. Ashoura wird in den südlichen Vororten Beiruts in diesem Jahr zum ersten Mal von einer Schauspieltruppe dargestellt, in den Jahren zuvor begnügte man sich mit großen Prozessionen, die Ashoura in die Gegenwart holen, den Krieg gegen Irak, gegen Israel, gegen die USA in eine historische Linie mit den blutigen Ereignissen von Kerbala stellten. Nicht umsonst pflegte das Teheraner Regime seine Offensiven im Golfkrieg mit dem Namen „Kerbala“ und laufenden Nummern zu betiteln. Politik und Religion sind eine Einheit.

Auch Kunst hat ihre Berechtigung nur in Einheit mit dem Islam, konstatiert der 25jährige Ali Rahmeh, Regisseur der Aufführung von Bir-el-Arbed im Anschluss. Beim Treffen im Informationsbüro der Hizb'allah in Bir-el-Arbed bekommen wir auch zum ersten Mal das Gesicht des Hauptdarstellers zu sehen, das während der Aufführung stets hinter einem weißen Tuch verborgen war. Der Islam verbietet die bildliche Darstellung seiner Propheten. Die beiden Künstler berichten aus ihrer Laufbahn im „Komitee für islamische Kunst und Theater“, einer festen Einrichtung der Hizb'allah, in der sie hauptamtlich der Sache der „islamischen Revolution“ dienen. Mit ihren Theaterstücken sind sie in Baalbek, im Südlibanon und hier, in den südlichen Vororten aufgetreten, haben die „Message“ vom Märtyrertod, dem krönenden Höhe- und Schlußpunkt im Leben des schiitischen Mannes verbreitet, sei es in der Darstellung der Schlacht von Kerbala, oder des „islamischen Widerstandes“, der Guerilla, die heutzutage vom Südlibanon aus ihren verzweifelten Kampf gegen die israelische Armee führt.