Ein neuer Anlauf für Solidarnosc

■ Bei den sich ausdehnenden Streiks in Polen zeichnet sich kein Kompromiß ab / Von Klaus Bachmann

Die Streiks im vergangenen Mai kamen für Solidarnosc zu früh - meinte damals auch Lech Walesa. Diesmal scheint die Gewerkschaft besser vorbereitet: Die Aufrufe zu Solidaritätsstreiks werden befolgt, und im Vordergrund stehen nicht mehr Lohnerhöhungen, sondern die Forderung nach Wiederzulassung von Solidarnosc. Doch gerade hier stellt sich die Partei taub. Ohnehin hat die Gewerkschaft in der Partei kaum noch Ansprechpartner, die mit den Reformern von 1980 vergleichbar wären.

Der Innenminister beglückte die Fernsehzuschauer noch einmal mit der alten Propagandaphrase: Es wird, tönte General Kiszczak am Montag abend, keine Rückkehr zu den Verhältnissen vor 1980 geben, aber auch keine zu den Zuständen von 1980. Seit der Verkündung des Kriegszustandes im Dezember 1981 hat Regierungssprecher Urban den Journalisten diese Formel in regelmäßigen Abständen vorgetragen. Reform ja, Solidarnosc nein. Auch Waldislaw Sila-Nowicki, Mitglied von Jaruzelskis „Konsultativrat“ und Vermittler bei den Streiks im Mai, sieht die harte Linie in Polens Kommunistischer Partei im Aufwind: „Man muß mit der Verhängung des Ausnahmezustandes rechnen.“

Noch am Freitag vergangener Woche hatte Lech Walesa an einen Kurswechsel geglaubt: Er habe Hinweise dafür erhalten, daß die Regierung einen Kompromißvorschlag plane. Doch der Vorschlag blieb aus. Die Partei ist nicht mehr dieselbe, die vor fast genau acht Jahren den stellvertretenden Ministerpräsidenten Jagielski auf die Danziger Werft schickte, um das Abkommen über die Zulassung von Solidarnosc zu unterschreiben.

Damals gab es in der Partei eine starke Reformer-Gruppe, die für den Kompromiß eintrat und die auch bereit war, Machteinbußen zugunsten der Gewerkschaft hinzunehmen. Diese Leute fehlen heute weitgehend. Sie wurden entweder im Verlauf der Säuberung 1982 aus der Partei ausgeschlossen oder gingen von selbst - wie der Chefredakteur der Krakauer Parteizeitung 'Gazeta Krakowska‘, Maciej Szumowski, der nach dem 13.Dezember 1981 von sich aus seinen Hut nahm. Und jene Liberalen, die nach dem 13.Dezember in der Partei blieben, waren in den Augen vieler Polen Opportunisten und unterscheiden sich heute grundsätzlich von den damaligen Reformern. Der Unterschied zwischen Falken und Tauben in der polnischen Partei ist heute vor allem ein taktischer, im Grundsatz sind sie sich einig: Für beide gehen Reformen von oben aus, müssen jederzeit kontrollierbar sein und dürfen nicht auf Kosten der Parteimacht gehen.

Dies gilt auch für jenen Mann, der im Westen häufig als Symbolfigur des liberalen Flügels angesehen wird, in Polen aber schlicht als Opportunist gilt: Mieczyslaw Rakowski. Bereits kurz nach dessen Aufnahme ins Politbüro gelangte ein Bericht von ihm an die Öffentlichkeit, der sein Image als Reformer aufzumöbeln versuchte. Darin ging Rakowski mit Jaruzelskis Wirtschaftsreform hart ins Gericht: Wenn sich die Regierungen Osteuropas nicht zu tiefgreifenden Reformen entschlössen, schrieb er, drohe eine Revolution.

Kaum allerdings begann die Streikwelle im Mai dieses Jahres, da trat Rakowski mit ganz anderen Tönen an die Öffentlichkeit: „Das Volk will Ruhe“, behauptete er und forderte hartes Durchgreifen gegen die Streikenden. Und als die Streiks beendet waren, gab Politbüromitglied Jozef Cuyrek dem Parteorgan 'Trybuna Ludu‘ ein langes Interview. Titel: „Keine Abkehr von der Politik der nationalen Verständigung“. Es klang wie eine Absage an die Linie der Falken. Im Juli liefen dann in Warschau plötzlich Gerüchte um, die Regierung plane einen großen Kompromiß mit der gemäßigten Opposition: Mehr Rechte für den Konsultativrat, ein neues Vereinsrecht, Wiedereröffnung des PEN-Clubs. Angeblich plante die Regierung auch, der Opposition 40 Parlamentsmandate anzubieten, um so ihre Unterstützung für die Wirtschaftsreform zu erhalten.

Doch dann drehte sich das Personalkarrussell in der Partei, und nicht nur bekannte Reformer rückten auf wie der ehemalige Minister für die Wirtschaftsreform und Präses der Nationalbank Wladislaw Baka, sondern auch einige Konservative. In Warschau hieß es, in der Partei finde ein Machtkampf statt zwischen den Befürwortern von Zugeständnissen an die Opposition - mit Czyrek an der Spitze - und jenen, die zunächst die Position der Partei stärken wollen. Ihr Repräsentant war jetzt Rakowski.

Solche Machtkämpfe ließ bereits das Verhalten der Behörden während der Mai-Streiks erahnen. Da hatte General Kiszczak den Streikenden zum Teil erstaunliche Zugeständnisse gemacht, anschließend blockierte sie der Werftdirektor. In Nowa Huta löste die Miliz den Streik mit Gewalt auf, während sich kirchliche Vermittler noch in der Hütte aufhielten. Im nachhinein entschuldigte sich Politbüromitglied Barcikowski bei Primas Glemp, und Kiszczak fuhr nach Krakau, um persönlich für die Freilassung der Festgenommenen zu sorgen. Im Mai gelang es den Reformern, ein leichtes Übergewicht zu gewinnen, vor allem, weil die Streiks relativ kurz dauerten.

Jetzt, so scheint es, sind die Reformgegner im kommen. Bisher haben sich nur Innenminister General Kiszczak und ZK -Mitglied Szalejda zu Wort gemeldet. Czyrek, Baka, selbst Rakowski schweigen. Und wie im Mai auch Jaruzelski.