Die polnische Regierung geht auf harten Kurs

Erste Ausgangssperren verhängt / Innenminister Kiszczak verkündet weitere Maßnahmen / Oberschlesische Zechen schließen sich dem Ausstand an  ■  Von Klaus Bachmann

Berlin (taz) - Die gleiche polnische Stadt, von der vor neun Tagen die Streikwelle ausgegangen ist, wurde gestern zum Schauplatz der ersten Ausgangssperre. In der oberschlesischen Bergbaustadt Jastrzebie darf jetzt von 23 Uhr bis 5 Uhr niemand mehr auf der Straße sein. Innenminister Kiszczak hatte für seinen Fernsehauftritt am Montag abend demonstrativ seine Generalsuniform angelegt und dann vor den Kameras die Behörden aller großen Streikzentren - Kattowitz, Stettin und Danzig - zu solchen Ausgangssperren ermächtigt.

Obwohl die Regierung im ganzen Land Aktivisten der Untergrund-Gewerkschaft Soidarnosc verhaften ließ, weiten sich die Streiks weiter aus. Auch die Danziger Lenin-Werft schloß sich der Streikfront mit der Forderung an, Solidarnosc müsse wieder zugelassen werden. Glaubt man der Regierung, dann ist allerdings ein Teil der Arbeiter zur Frühschicht angetreten. In Oberschlesien sollen sich mindestens fünf weitere Zechen (die Regierung sagt: zwei) den 14 schon streikenden angeschlossen haben.

Im Stahlkombinat Stalowa Wola im Südosten geht der Ausstand weiter. Auch Betriebe anderer Branchen haben sich angeschlossen, unter anderem zwei Ziegelfabriken in Poznan und eine Eisenbahnreparaturwerkstatt in Wroclaw, dem früheren Breslau. Und in einer Abteilung des Stahlwerks Nowa Huta bei Krakau wurde für kurze Zeit die Arbeit niedergelegt. In dem großen Warschauer Traktorenwerk Ursus ist ein Streikversuch von der Miliz vereitelt worden, berichten westliche Rundfunkmeldungen. Innenminister Kiszczak kündigte am Montag abend einen „verstärkten äußeren Schutz ausgewählter Betriebe“ an. Gestern wurden daraufhin prompt die bestreikten schlesischen Zechen sowie die Danziger Lenin-Werft von Miliz und Militär umstellt. Die Truppen ließen weder Lebensmittel noch Vermittler oder Solidarnosc-Berater durch ihre Sperren. In Stettin wurden sogar zwei besetzte Straßenbahndepots und eine Autobushaltestelle mit Gewalt geräumt.

Regierungssprecher Urban verkündete gestern vor der Presse, in Zusammenhang mit den Streiks seien 49 Personen festgenommen worden, die meisten davon „vorbeugend“. Der Innenminister hatte bereits in seinem Fernsehauftritt den Gerichten empfohlen, „Störer der öffentlichen Ordnung“ nicht mit Fortsetzung auf Seite 2

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Geldstrafen davonkommen zu lassen, sondern sie in den Knast zu schicken. Er sieht durch die „illegale“ Streikwelle in Polen das „Gespenst der Anarchie“ heraufziehen. Solidarnosc -Führer Lech Walesa antwortete ihm gestern auf einer Versammlung der streikenden danziger Werftarbeiter: Die Lage sei „äußerst ernst“. Er warnte den Innenminister, seine angekündigten Druckmaßnahmen würden „die politischen und wirtschaftlichen Probleme des Landes nicht lösen“. Allein politisch könne die spannung entschärft werden, und er sei dazu bereit, mit der Regierung gemeinsam nach Lösungen zu suchen.

Bisher haben allerdings selbst die Behörden in den Streikizentren alle Vermittelungsversuche abgeblockt. Weder der Wladislaw Sila-Nowicki, Mitglied des von der Regierung eingesetzten „Konsultativrates“ und Vermittler bei den Mai -Streiks, noch der Bischof vpn Kattowitz, Kaczmarek, waren bei ihren Versuchenerfolgreich. Regierungssprecher Urban kündigte gestern dann eine erste Initiative mit wirtschaftlichen Zugeständnissen an: Am 31.August solle eine Sondersitzung des polnischen Parlaments stattfinden. Dort würden möglicherlweile auch „Anpassungen bei der Lohn- und Preispolitik“ beschlossen.