Empörung über Bayerns Geisel-Show

„Geschmacklosigkeit“, „Groteske“, „makabres Spektakel“ - Reaktionen zur „Nachstellung“ der bayerischen Polizei / NRW-Innenministerium: „Schmutzige Veranstaltung fast schon auf Barschel-Niveau  ■  Aus Düsseldorf Walter Jakobs

Düsseldorf (taz) - Auf die „Nachstellung“ der Gladbecker Geiselnahme durch die bayrische Polizei in München (siehe S.1) haben führende SPD-Politiker am Dienstag in Düsseldorf mit Empörung reagiert. Der SPD-Vorsitzende Hans-Jochen Vogel nannte das bayrische Schauspiel einen „Gipfel der Geschmacklosigkeit“. SPD-Fraktionschef Friedhelm Farthmann sprach von einer unglaublichen „Groteske“. Beide SPD -Politiker hielten der Strauß-Regierung vor, sie betreibe ein unerträgliches „Aufrechnungsverfahren“. Farthmann erinnerte an die mißlungene Geiselbefreiung 1972 in Fürstenfeldbruck bei München und sagte dann wörtlich: „Stellen Sie sich mal vor, was los gewesen wäre, wenn das jemand hätte nachstellen wollen“. Der Sprecher des Düsseldorfer Innenministeriums, Rheinhard Schmidt-Küntzel, bezeichnete die „Schauvorführungen“ von München als eine „schmutzige Veranstaltung - fast schon auf Barschel-Niveau“. Man frage sich, wie in Zukunft die Arbeit der Polizei der Länder, z.B. in Wackersdorf, „kollegial“ weitergehen könne, wenn sich diese „Schmutzkampagnen“ fortsetzten. Die Angriffe des bayrischen Innenministers kämen einer „Verhöhnung der am Einsatz beteiligten besonders erfahrenen SEK-Beamten“ gleich. Innenminister Schnoor will das bayrische Verhalten zum Thema der nächsten Innenministerkonferenz machen.

Der Bundesvorsitzende der Gewerkschaft der Polizei (GdP), Lutz (CDU) sagte, das Münchener Schauspiel sei ein „makaberes Spektakel“. Der nordrheinwestfälische CDU -Landesvorstand hat unterdessen herausgefunden, daß „die NRW -Linie bei der Bekämpfung von Gewaltverbrechen offensichtlich gescheitert ist“ weil sich „Unsicherheit“ und „Zweifel“ wegen der Schnoor-Politik „in Polizeikreisen breitgemacht haben“.

Nach Auskunft des Schnoor-Sprechers hat es in NRW seit dem 1.1.1977 bis heute (einschließlich des Gladbecker Falles) 32 Geiselnahmen gegeben. Davon seien 25 Fälle am Tatort „gelöst“ worden. Dabei erfolgte 16 mal der Zugriff durch die Polizei. Zwei Täter wurden dabei erschossen. Dreimal gaben die Täter nach Verhandlungen mit der Polizei auf, einmal „konnte die einzige Geisel fliehen, einmal schlief der Täter durch Ermüdung ein und einmal gaben die Täter nach Verlesen einer Erklärung auf. Die weiteren Fälle wurden auf „sonstige Weise „(Überrumpelung des Täters durch Geisel) gelöst“. Bei den sieben außerhalb des Tatortes „gelösten“ Fallen hatten die Täter anfangs dreimal erfolgreich fliehen können. In vier Fällen ließ die Polizei, wie in Gladbeck, die Flucht zunächst zu.

Grüne für Meyer-Rücktritt

Entschieden gegen die Einführung des „finalen Todesschusses“ als Konsequenz des Geiseldramas in Gladbeck und Bremen haben sich die Bremer Grünen ausgeprochen. Ihr innenpolitischer Sprecher, Martin Thomas, nannte entsprechende Forderungen des CDU-Generalsekretärs Heiner Geißler und des bayerischn Staatssekretärs Gauweiler gestern „beschämend und empörend zugleich“. Dem Bremer Innensenator, Bernd Meyer, bescheinigten die Grünen „Inkompetenz“: „Es ist an der Zeit, daß der Senator von sich aus den Hut nimmt.“

Der republikanische Anwaltsverein hat sich gegen den „zynischen Vorwurf“ von CDU-Generalsekretär Heiner Geißler verwahrt, die Polizei habe während der 54stündigen Geiselnahme „mehrfach Gelegenheit für einen finalen Rettungsschuß“ verpaßt. Wer auf diese Weise für die polizeiliche Hinrichtung solcher Verbrecher plädiere, müsse notwendig den Tod der Geisel riskieren.

Der CDU-Vorsitzende, Bundeskanzler Helmut Kohl, hat die verantwortlichen SPD-Politiker in Nordrhein-Westfalen und Bremen im Zusammenhang mit dem Geiseldrama heftig kritisiert, ohne jedoch die von anderen Unions- und FDP -Vertretern erhobene Forderung nach Rücktritten zu übernehmen. Die politisch Verantwortlichen hätten nicht erst jetzt die Polizei allein gelassen, sondern schon früher zu ihrer Verunsicherung beigetragen, erklärte er am Dienstag nach einer Sitzung des CDU-Präsidiums.