Bayerns Bullen schießen schneller

Bayerische Sonderkommandos demonstrieren Geiselnahme auf Kasernenhof / Nachhilfeunterricht für Nordrhein-Westfalen / Vorführung von „finalem Rettungsschuß“ und Geiselbefreiung / Innenminister Lang schlägt Bogen von Geiselnahme bis Hausbesetzung  ■  Aus München Luitgard Koch

Der bayerische Innenminister August Lang hält sich die Ohren zu. Vor ihm auf dem Kasernenhof der Bereitschaftspolizei im Münchner Osten geht gerade eine Sprengladung hoch. Zwei Männer des Spezialeinsatzkommandos haben den Hintereingang einer fiktiven Bank gesprengt, um die Geiselnehmer im Bankraum zu kapern. An der Hauswand des mit wildem Wein bewachsenen Altbaus seilen sich gleichzeitig vier Mann in olivgrünen Kampfanzügen ab. Das Abseilen ist zu laut. Die Fenster im zweiten Stock klirren leise, als die Mannen daran vorbeigleiten. Trotzdem verläuft natürlich alles erfolgreich. Die Männer klettern durchs Fenster in den ersten Stock. Schreie dringen aus dem Raum. Die Täter sind überwältigt, die Geiseln befreit. Damit ist eine der vier „praktischen Vorführungen“ des bayerischen Innenministeriums beendet. Hautnah wurde der geladenen Presse vor Augen geführt, wie man das Gladbecker Geiseldrama hätte erfolgreich beenden können. Gemäß der bayerischen Dienstanweisung, wonach alle Geiselnahmen am Tatort beendet werden sollen, geht es weiter im Programm.

Jetzt wird der finale Rettungsschuß demonstriert. Ausgeführt von Scharfschützen. Drei von ihnen befinden sich im Gebäude gegenüber der fiktiven Bank. Eine andere Gruppe ist im Haus schräg hinter dem Bankgebäude postiert. Ob sich ein dermaßen optimaler Winkel auch im konkreten Fall findet? Die Schützen jedenfalls treffen zielsicher und schießen dabei, im wahrsten Sinn des Wortes, auch noch ein Foto. Denn im Zielfernrohr des Gewehrs der Firma Heckler und Koch befindet sich ein Fotoapparat, der den Moment des Abschusses festhält. Um ganz am Gladbecker Fall zu bleiben, wird zum Schluß die Situation in der Fußgängerzone vorgeführt. „Täter im Stadtgebiet auf stark frequentierter Straße“, tönt es als Erläuterung über den Kasernenhof. Unter das kleine Häufchen der als Presseleute verkleideten Polizisten mischen sich jetzt auch die „echten“ Fotografen, um nah genug dran zu sein. Das Fluchtauto fährt vor. Die fiktive Straße im viereckigen Kasernenhof ist eher ruhig als stark frequentiert. Die Befreiung der Geiseln klappt nicht auf Anhieb. Sekundenlang klemmt die Autotür. Aber auch in diesem Fall bleibt die Erfolgsmeldung nicht aus.

Abschließend geht's dann in die Turnhalle zur Waffenschau. Stolz präsentiert Staatssekretär Gauweiler im nachtblau dezenten Jackett die Ansammlung der Geräte von der Nachtsichtbrille über etliche Gewehre bis hin zu Blendraketen. Die Vorstellung ist nicht sein erster „Showtermin“. Bereits im Februar konnte der Scharfmacher seinen Spieltrieb mit der Vorführung der neugegründeten Greiftrupps für Demonstrationen befriedigen. „Das Thema Gladbeck ist nicht nur in den Medien, sondern auch an allen Stammtischen aktuell“, weiß Lang bei der Pressekonferenz im vollbesetzten „Palmensaal“ der Kaserne, die schon im Dritten Reich existierte. Unter Blitzlichtgewitter, umgeben von etlichen Kamerateams - durch viele Privatmedien wird der Andrang noch größer - beginnt Bayerns Nachhilfeunterricht für Nordrhein-Westfalen. Fortsetzung auf Seite 2

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Bevor er den SPD-Politikern dieses Bundeslandes zusammen mit seinem Staatsekretär Gauweiler und den versammelten Polizeistrategen die „Pflichtwatschn“ verpasst, verweist Lang stolz auf die „konsequente Sicherheitspolitik“ des Freistaats. 4.638 Straftaten im Jahre 1987 in Bayern dagegen 7.455 im gleichen Zeitraum in Nordrhein-Westfalen. Deshalb habe man in Bayern auch erst 17 Fälle von Geiselnahmen im Gegensatz zu den 32 bei den Nordlichtern. Grund für die Misere im Norden: Das SPD-regierte Land habe sich gegen die Einführung der Kronzeugenregelung, sowie die Verschärfung des Versammlungsgesetzes bei Vermummung gesträubt und statt dessen mehr Datenschutz gefordert. „Er droht zum Tatenschutz für Rechtsbrecher zu werden“, behauptet Lang. Der „Finale Rettungsschuß“, der in Bayern im Polizeiaufgabengesetz festgeschrieben ist, wird als Wunderwaffe angepriesen. „Beklagenswert“ findet es der Minister, daß dies nicht in allen Bundesländern so ist. „Dies ist keine bayerische Spezialität“, betont Lang. Außer Bayern ist der Todesschuß auch in Niedersachsen und Rheinland Pfalz vorgesehen. Gegen die „systematische Duldung von rechtsfreien Räumen“, polemisiert Lang. Er schlägt dabei den Bogen angefangen von Hausbesetzungen über Kasernenblockaden bis hin zu der Gladbecker Geiselaffäre. Die Luft im vollbesetzten Saal wird immer stickiger. Mit Dias von bayerischen Geiselnahmen soll der Presse vorgeführt werden, wie erfolgreich man war und wie man sich dabei an die Dienstanweisung hielt, alle Geiselnahmen am ersten Tatort zu beenden. Gezeigt wird ein Banküberfall in Landshut im März 1979. Der Kassenraum einer Bank wird gezeigt. Das SEK hat den Täter bereits überwältigt. „Sechzehn Uhr fünfundvierzig; das städtische Krankenhaus teilt mit, daß der Täter soeben verstorben sei“, erläutert Inspektor Donaubauer aus Landshut. Bei allen Fällen in Bayern wurden die Täter erschossen.

Aber mit bayerischen Erfolgen allein geben sich die Sicherheitspolitiker nicht zufrieden. Auf der Leinwand flimmern plötzlich Orginalaufnahmen des Gladbecker Geiseldramas. Geiselnehmer Rösner erscheint im Profil. „Bremen unmittelbar vor der Buskaperung“, so der eingeblendete Text. Schritt für Schritt zeigen die Bilder Stationen des Dramas. In der Kölner Fußgängerzone gibt es nach Ansicht der bayerischen Polizeistrategen mehrere Möglichkeiten das Drama zu beenden. So etwa, als die beiden Täter ein Interview geben. Doch auf den vorgeführten Bildausschnitten fehlt die Menschenmenge.