Tödliche „Doppelstrategie“ bei Geiselnahmen

■ Über den Konflikt zwischen gewaltsamer Befreiung der Geiseln und dem Schutz des Lebens der Geiseln / Auch der Kontaktabbruch widerspricht der vertraulichen Polizeidienstvorschrift

Die streng vertrauliche „Polizeidienstvorschrift für den Einsatz bei Geiselnahmen“ vom 1.2.1982 (PDV 132) soll der Polizei eine verbindliche Richtschnur sein: „Bei Geiselnahme ist die Polizei verpflichtet,

-das Leben der Geiseln zu schützen und sie zu befreien (Gefahrenabwehr)

-die Täter festzunehmen (Strafverfolgung) Die Vorschrift berücksichtigt ausdrücklich, daß es einen Konflikt zwischen diesen beiden Zielen geben kann, und setzt Prioritäten: „Im Falle eines Konfliktes zwischen beiden Aufgaben ist die Pflicht vorrangig, das Leben der Geiseln zu schützen und sie zu befreien. Dieser Grundsatz bestimmt Art und

Weise der polizeilichen Maßnahmen.“ So weit, so klar allerdings heißt es weiter: Dieser Grundsatz „steht insbesondere Maßnahmen der gewaltsamen Befreiung der Geiseln nicht entgegen.“

Auf der Autobahn-Raststätte Grundbergsee stand das Ziel einer „gewaltsamen Befreiung“ dem Lebensinteresse der Geiseln allerdings doch entgegen. Was der Bremer Innensenator bisher nicht zugeben wollte, beweisen die Funksprüche der Einsatzleitung.

An der Version des Innensenators, daß die Verhaftung der Rösner-Freundin Marion Löblich ein „Zugriff aus Notwehr“ (Meyer) gewesen sei, gibt es genügend

Zweifel. (vgl. Kasten Seite 3) Unterstellt, die verschiedenen Augenzeugen, die davon nichts bemerkt haben, irrten - es bleibt die Frage, warum die Einsatzzentrale erst 5 Minuten päter davon erfährt und 14 Minuten bis zur Anordnung „Freilassen“ braucht.

Sie wollte die Frage klären, ob ein „Zugriff“ auf die beiden Bankräuber in dieser Situation möglich war, lautet die Erklärung der Bremer Kripo. Warum mußte dies - die Kritik an dieser „tödlichen Fehlentscheidung“ beiseite gelassen - geschlagene 14 Minuten dauern? Die Einsatzleitung war auf diese plötzlich zugespitzte Situation nicht vorbereitet. Der taz vorliegende Funkpro

tokolle zeigen: Die polizeilichen Sonder-Einheiten an der Raststätte bereiten die „gewaltsame Befreiung“ vor (vgl. „Das Ding ist denen entglitten“, taz v. 22.8.), während die Einsatzleitung offenbar sich nur noch ganz vage auf dem laufenden hält. Nach der Festnahme der Rösner-Komplizin, die die Lage dramatisch zuspitzt, muß die Einsatzleitung fragen: „Können Sie mal den Lagebericht geben?“ und läßt sich grundlegendes erklären. Kostprobe: „Wo sitzen die Täter denn jetzt?“ Antwort: „Bisherige Kenntnisstand Raststätte Grundbergsee, die beiden Täter im Bus. Und die Frau wird festgehalten.“ Zentrale: „Wieviel Personen sind denn noch in dem Bus?“

Trotz der dringenden Anfrage, ob die Komplizin freigelassen werden soll, beschäftigt sich die Einsatzleitung dann ausgiebig mit der Frage, ob eine andere Forderung der Bankräuber nach einem Radio erfüllt werden soll. Originalton: „ein Autoradio, ein Transistorradio, also ein Koffergerät. Ich sollte weiter ausrichten, daß ein Täter vor dem Bus steht und eine Geisel mit der Pistole bedroht. Also ein Täter steht vor dem Bus, hat eine Geisel...“ Es wird gemeldet, ein Bild-Reporter sei unterwegs, um ein Radio zu besorgen - dies sind die Fragen, mit denen auch die Einsatzleitung sich 14 Minuten lang beschäftigt.

Den Kommunikationsfaden zu den Bankräubern hatte die Polizei

schon in Huckelriede verloren. Die Polizei-Dienstvorschrift sagt dazu: „Ein Kontaktabbruch durch die Polizei ist zu vermeiden.“ Geisel und Augenzeugin Brigitte M. zu Buten&Binnen: „Es gab die ganze Zeit über immer über Funk Kontakt und ein Sprechfunkgerät, nur es funktionierte gar nichts... Die Verbrecher haben gespürt, daß sich da gar nichts tat, und da sind sie durchgedreht und haben gesagt: Türen zu und los.“

Warum sind nicht kompetente Verhandlungspartner vor Ort gegangen? Der bestehende Funkkontakt sei, so erklärte Innensenator Bernd Meyer gestern der Bürgerschaft, „die beste Lösung“ gewesen.

K.W.