Von der Logik des Hungers und des Leidens

Berlin (taz) - Welche Auswirkungen die Verschuldungskrise und die Auflagenpolitik von IWF und Weltbank auf den Alltag der Menschen in der Dritten Welt haben, schilderten die ZeugInnen auf dem zur Zeit in Berlin stattfindenden Ökumenischen Hearing. Sie sehen Arbeitslosigkeit, Landflucht, Nahrungsmittelknappheit, Prostitution und Kriminalität als Folgen einer verfehlten nationalen und internationalen Wirtschaftspolitik. Deutlich wurde in ihren Berichten jedoch auch: Die Armen versuchen, sich gegen die für sie unerträglichen Lebensbedingungen zu wehren.

Maria de Lurdes arbeitet als Sozialarbeiterin in einem Elendsquartier im Osten Sao Paolos. In solchen „Favelas“ lebt mittlerweile über ein Zehntel der brasilianischen Bevölkerung. Maria de Lurdes Klientel arbeiten zum niedrigsten Mindestlohn der Welt. Dieser Mindestlohn deckt nicht einmal ein Viertel des Grundnahrungsbedarfs. Grund: Die horrende Inflation. In drei Monaten - Januar bis März 1987 - stieg der Brotpreis um 116, der für Milch um 167, der für Mehl um über 200 Prozent. Immer mehr Menschen, berichtet die Sozialarbeiterin, beschaffen sich das Brot für den nächsten Tag durch Diebstahl, Überfall und Mord. Insbesondere die Jugendkriminalität ist drastisch gestiegen. Eine weitere Einkommensquelle, aus der Not geboren: Die Prostitution. Eltern schicken ihre Töchter auf die Straße, damit die Familie ernährt werden kann. Nach Schätzungen arbeiten allein im Nordosten Brasiliens rund zwei Millionen Mädchen zwischen 10 und 15 Jahren als Prostituierte. „Es gibt nur ein Wort für die Lebensbedingungen in den Favelas: Unmenschlich“, sagt Maria de Lurdes.

Inflation, steigende Kriminalität, Kinderprostitution - das kennt man auch in Sambia. Cosmas Musumali klagt an: „Die Auflagenpolitik hat nicht nur unsere ökonomische, sie hat auch unsere moralische Struktur zerstört.“ Musumalis Spezialgebiet ist die ländliche Entwicklungspolitik. Viele Landbewohner wandern nicht freiwillig in die Städte ab, erzählt er. „Sie werden vertrieben, damit die Multis ihre Plantagen anlegen können.“ Was da produziert wird, kommt allerdings selten auf den Binnenmarkt. Der Export hat höchste Priorität - schließlich müssen, wie in fast allen Ländern der Dritten Welt, Devisen für den Schuldendienst erwirtschaftet werden. „So können wir selbst nicht kaufen, was wir herstellen“, beschreibt Musumali.

Auf den Philippinen wurden große Zuckerplantagen stillgelegt, weil sich der Anbau nicht mehr lohnte. Viele Landarbeiter verloren ihre Verdienstquelle. Zwar haben die Großgrundbesitzer inzwischen teilweise auf Fischzucht umgestellt. Für die meisten der Lohnarbeiter ist dies jedoch keine Lösung: Für die Fischteiche werden nur etwa halb so viel Arbeitskräfte gebraucht wie für die Zuckerplantagen. Folge der Verelendung: Viele Menschen wollen fort. „Die Schlange vor der amerikanischen Botschaft wird täglich länger“, berichtet Manuel Montes, Forschungsdirektor an der School of Economics der University of the Philippines.

Wer bleibt, hat nicht unbedingt resigniert. In Brasilien hat sich eine „Bewegung der Landlosen“ formiert, die brachliegendes Land besetzt. Und die Gewerkschaft rief die Favelas-Bewohner auf, Neubauten der Regierung zu besetzen. Auf den Philippinen haben sich die verschiedenen Stammesvölker in der Organisation CPA (Cordillera People's Alliance) zusammengeschlossen. Sie treten für eine umfassende Landreform ein.

tine