Schuldenkrise ein politisches Thema

Der Entwurf alternativer Lösungsstrategien entpuppt sich als schwieriges Geschäft / IWF und Weltbank stehen im Zentrum harscher Kritik / Orthodoxe Therapie der Bretton Woods-Zwillinge ist gescheitert  ■  Von Ursel Sieber

Berlin (taz) - „Heute ist die Schuldenkrise die Sache einer kleinen Minderheit von Technokraten. Aber aus dem Schuldenproblem muß ein großes politisches Thema werden, das auf öffentlichen Debatten angegangen wird.“ Was der Peruaner Javier Iguinez, Ökonom beim Zentrum für Entwicklungsstudien (DESCO) da forderte, war auch das Anliegen der kirchlichen Basisgruppen, die das „Ökumenische Hearing“ zur IWF-Politik und zu den Handlungsmöglichkeiten der Kirchen veranstaltet haben. 26 „Zeugen“ wurden in drei Tagen von einer international besetzen Experten-Gruppe befragt.

Die erste große Gegenveranstaltung zum IWF-Kongreß Ende September hat vor allem gezeigt, wie schwierig es ist, dieses Anliegen in die Praxis umzusetzen, und die Kritik am Internationalen Finanzsystem auch noch für eine poltische Praxis zuzuspitzen. Fragen und Antworten hätten manchmal besser in ein Spezialisten-Seminar an der Universität gepaßt als auf eine politische Veranstaltung. Das galt insbesondere für den Teil der Anhörung, der sich mit Lösungsvorschlägen befaßte: Über Vorschläge für eine Lösung der Schuldenkrise wurde kaum gesprochen, auch nicht über praktische Schritte dahin. Beim Thema „Lösungen“ wurde vielmehr noch einmal die Praxis von IWF- und Weltbankpolitik unter die Lupe genommen. (Die Befragung zu den besonderen Handlungsmöglichkeiten der Kirche war bei Redaktionsschluß allerdings noch nicht ganz abgeschlossen.)

Daß die Politik der beiden Finanz-Institutionen sehr ausführlich kritisiert wurde, war sicherlich ein Verdienst der Tagung. Und die VertreterInnen, die aus einigen der betroffenen Schuldnerländer eingeladen gekommen waren, schilderten eindrucksvoll die verheerenden Folgen diesen Politik in ihrem Heimatland (siehe Kasten).

IWF und Weltbank waren ebenfalls eingeladen und hatten jeweils einen Mitarbeiter entsandt. Vom IWF kam Festus Osunsade, ein Nigerianer, der, wie am Rande der Tagung erzählt wurde, ohne Visum am Flughafen Tegel ankam, und von der Polizei prompt festgehalten wurde. Doch der IWF-Mann bedeutete den Beamten, er komme von einer bedeutenden internationalen Institution und ein paar Minuten später hatte er sein 5-Tages-Visum in der Tasche. Osunsade und Davis Bock von der Weltbank saßen über mehrere Stunden auf der Anklagebank. Unterm Strich ist bei der Befragung allerdings kaum etwas Neues herausgekommen. Beide haben natürlich bestritten, daß ihre Anpassungsstrategie gescheitert ist, und wie bisher die Exportorientierung als Allheilmittel angeführt. Immer wieder kamen die Mitglieder der Hearing-Gruppe darauf zurück, daß man den Patienten doch nicht weiterhin dieselbe Medizin verschreiben könne, wenn die Therapie so offensichtlich gescheitert sei: Seit Beginn der Anpassungsprogramme im Jahre 1980 etwa sei der Schuldenberg von 800 Milliarden auf 1,2Billionen Dollar gewachsen. Sie bleiben hart: Eine andere Strategie sei überflüssig. „Es ist offensichtlich daß diese Strategie funktioniert“, (Bock), etliche Länder seien erfolgreich gewesen, Länder ohne Anpassungsprogramme seien noch schlechter dran. Neue Vorschläge in puncto Schuldenerlaß, so Davis Bock, wollten beide Institutionen bei ihrer Tagung Ende September nicht präsentieren.

Beide verstanden es gut, den meisten Nachfragen mit diplomatischen Formeln auszuweichen. („Der IWF ermutigt die Länder eine Politik zu betreiben, die es erlaubt, ihre Beziehungen zu den Gläubigerländern zu normalisieren.“) Osunsade, der jede Antwort mit den Worten: „Ich danke für die Frage“ einleitete, hinterließ zu Anfang allerdings einen kläglichen Eindruck: Er sah sich außerstande, eine Frage nach Zahlen zu beantworten. Weder das Ausmaß der Kapitalflucht noch die Summe der von den Entwicklungsländern seit 1982 bezahlten Zinsen könne man quantifizieren. Die Zuhörer lachten, als ihn ein Mitglied der Hearing-Gruppe, Otto Kreye, darauf verwies, daß der IWF selbst in einer offiziellen Publikation vom April diesen Jahres die Kapitalflucht mit 500 Milliarden Dollar beziffert habe.

Manchmal stellten sich die Experten bei der Befragung aber auch selbst ein Bein: Nachdem Davis Bock wiederholt die Erfolge ihrer Politik herausgestellt hatte, las ihm Otto Kreye ein langes Zitat vor, in dem die schlechte soziale und ökonomische Situation der Schuldnerländer festgestellt wurde. Kreye war allerdings so höflich, die Weltbank als Quelle gleich anzugeben. Natürlich sagte Davis Bock dann nur lapidar, damit sei die Situation ausgezeichnet beschrieben. Nicht nur in diesem Fall wäre weniger Respekt und härteres Nachbohren angebracht gewesen.

Immerhin gelang es der Hearing-Gruppe manchmal doch, Osunsade und Bock in Widersprüche zu verwickeln: So verhedderte sich der Abgesandte der Weltbank einmal, als es um Sambia ging. Da betonte er einerseits den strikt neutralen Charakter seiner Institution; Sambia habe selbst ein Anpassungsprogramm verlangt und durchgeführt. Gleichzeitig mußte er jedoch zugeben, daß es zwischen der sambischen Regierung und der Weltbank über die Durchführung und Ausrichtung des Programms zu heftigen Auseinandersetzungen gekommen sei.

Was an konkreten Lösungsverschlägen entwickelt wurde, ging in der Flut an Informationen unter. So entwickelte zum Beispiel der peruanische Wirtschaftswissenschaftler Javier Iguinez einen Fünf-Punkte-Plan: Eine Lösung, sagte er, sei nur vorstellbar in Zusammenarbeit mit den großen Industrieländern und Institutionen, abrupte Maßnahmen kein Ausweg. Alle Vorschläge dürften nicht wieder zu einer Situation führen, wo das Schuldenproblem nach kurzer Zeit neu beginne; die Kosten müssten von den reichsten Nationen der Erde getragen und der Nettotransfer von Kapital müsse gestoppt werden. Dieses Konzept wurde allerdings nicht weiter diskutiert.

Am heutigen Donnerstag will die Hearing-Gruppe ihre Schlußfolgerungen aus der Tagung veröffentlichen.