Tod in El Salvador

■ Der Schweizer Theologe und Solidaritätsarbeiter Jürg Weiss wurde am Montag von einer Militärpatrouille erschossen / Der Ermordete wollte sich über die Auswirkungen des Krieges auf die ländliche Bevölkerung informieren

P O R T R A I T

Die Salvadorianer, auf Europa-Rundreise, fragten, ob wir noch mehr Information über die Verschlechterung der Menschenrechtslage bräuchten, und wir sagten: Nein danke, das Kilo Papier, das uns Jürg jeden Monat schickt, reicht. Es gibt ja noch andere Länder als das kleine El Salvador. Jürg - gerade zu Besuch - stand dabei und lachte verlegen. Das war vor ein paar Wochen an einem Sommernachmittag in Zürich.

Am Montag wurde Jürg Weiss, Mitarbeiter des Zentralamerikasekretariats Zürich, in El Salvador von Sicherheitskräften erschossen. Oberst Galileo Torres von der Armeepressestelle sagte uns am Telefon, Jürg habe „an militärischen Operationen der Guerilla teilgenommen“ und sei dabei getötet worden.

Wir wissen, daß Jürg sich in ländlichen Gebieten aufhielt, um sich über die Auswirkungen des Krieges auf die Zivilbevölkerung zu informieren, und daß die Behauptung der Armee absurd ist. „Wir wollen weder Paternalismus, noch soll Nicaragua ein Mekka werden. Es soll keine Einbahnstraße von oder nach Nicaragua geben“, sagte er mir ein einem Interview Ende letzten Jahres. Der 42jährige, der nach seinem Theologiestudium nach Chile gegangen war und seit dem Sturz Allendes nicht mehr aufgehört hatte, für Demokratie und Sozialismus in Lateinamerika zu arbeiten, wußte, wovon er sprach. Er wußte, daß die Solidaritätsarbeit, dieser Seiltanz auf den Widersprüchen zwischen zwei Kulturen und zwei Kontinenten, Mann oder Frau psychisch erschöpfen kann. Er ist nie ausgestiegen.

Zur Zeit wird mit Milliardenaufwand der 500.Jahrestag der Eroberung Amerikas von der spanischen Regierung vorbereitet. Das steht unter dem trügerischen ideologischen Motto „Begegnung zweier Welten“. Wenn es je eine Begegnung in Würde und Respekt zwischen diesen beiden Kontinenten geben sollte, dann hat einer wie Jürg dazu die Brücken gebaut. Er gehört zu den Tausenden von stillen Vermittlern, die, ohne ein Wort zu verlieren, die Schuld für das Leid abtragen, das das christliche Abendland von Kolumbus bis United Brands den lateinamerikanischen Völkern zugefügt hat.

Wenn es wahr ist, was der uruguayische Schriftsteller Galeano einmal sagtem, daß unser Gedächtnis klüger ist als wir, weil es behält, was wichtig ist und das andere vergißt, dann werde ich von Jürg behalten: daß er auf unserer Treppe saß und die Zamba auf der Gitarre spielte, die Victor Jara auf den Tod von Che Guevara gesungen hat. Und daß er nie Zeit hatte, mir den Text aufzuschreioben. Die Arbeit für die Befreiungsbewegungen in Zentralamerika füllte seinen Tag.

Helmut Scheben (Redaktion der Zürcher 'Wochenzeitung‘)