Geiselnehmer erst einmal laufen lassen

Manfred Such, Sprecher der Arbeitsgemeinschaft kritischer PolizistInnen, zur Geiselaffäre  ■ I N T E R V I E W

Such ist Mitglied der Grünen und war lange Jahre Chef der Kriminalpolizei im nordrhein-westfälischen Werl. Nach einer öffentlichen Kritik an der Polizei wurde Such auf Veranlassung seiner örtlichen Vorgesetzten auf einen anderen Posten versetzt.

taz: Wie, glaubst du, ist die Trockenübung, die der bayerische Innenminister in München veranstaltet hat, bei den Polizisten angekommen?

Such: Ich kann mir vorstellen, daß diese Ungeheuerlichkeit, zu suggerieren, bei uns wäre das nicht passiert, in Polizeikreisen eine große Empörung hervorruft. Bei Übungen sind in NRW auch noch keine Geiseln ums Leben gekommen. Das ist ein Hohn, was die sich da geleistet haben.

Welche andere Möglichkeiten gab es?

Ich bin nicht bereit, den Einsatz der nordrheinwestfälischen Polizei jetzt auch als „Sesselkommissar“ zu kritisieren. Grundsätzlich glaube ich aber, daß man mit solchen Geiselnahmen künftig häufiger rechnen muß. Weil die technische Sicherung der Banken immer perfekter wird, werden Straftäter, die auf diese Weise an Geld kommen wollen, vermutlich verstärkt Geiseln nehmen. Wenn die Polizei dabei auf Gewaltlösungen setzt, dann befürchte ich, daß es zu weiteren Toten kommen wird, auf seiten der Geiseln und der Täter. Unser Konzept könnte darin Bestehen, eine gewaltfreie Lösung - wie das ja in Ansätzen in NRW versucht wird - zu suchen. Ich meine, man muß sogar soweit gehen, daß man den Tätern, unter Einsatz aller technischen Mittel, das Gefühl gibt, daß sie tatsächlich mit dem Geld fliehen können. Das heißt also totaler Rückzug der Polizei, wenn man erkennt, daß die Täter zu allem entschlossen sind, um dann - wenn die Lebensgefahr beseitigt ist - zu versuchen, die Täter wieder einzufangen. Es darf nicht sein, daß man Geld oder Sachwerte vor das Leben setzt. In diesem Fall ging es um läppische 400.000 DM. Ich frage mich, wohin und wieweit wären die Täter mit diesem Geld gekommen?

Erlaubt die Rechtslage ein solches Vorgehen?

Ja, denn man muß im Rahmen der Verhältnismäßigkeit abwägen. Der Schutz des Lebens hat Vorrang vor dem Strafantrag des Staates oder vergleichbaren Floskeln.

Wie würde ein Rücktritt von Schnoor sich polizeiintern auswirken?

Für die Polizei in NRW und ihr Einsatzkonzept hätte der Rücktritt verheerende Wirkungen. Gerade die Linie von Herbert Schnoor gibt ein Beispiel für liberales Einschreiten der Polizei, für eine bürgerfreundliche Polizei - wobei ich nicht verhehle, daß da auch noch viel zu bemängeln ist. Diese Linie will die Union kaputt machen.

Die „kritischen Polizisten“ sind nicht gerade repräsentativ für den Geist, der in der Polizei herrscht. Gibt es nicht auch in der NRW-Polizei die Sehnsucht nach dem „starken Mann“ in Düsseldorf?

Ich erkenne diese Sehnsucht bei einer Gruppe, die sich „Deutsche Polizeigewerkschaft“ nennt, die aber eigentlich Polizeigewerkschaft im deutschen Beamtenbund heißen müßte, aber das ist in NRW nur eine Minderheit. In der „Gewerkschaft der Polizei“ (des DGB, d.Red.) - und das ist die große Mehrheit - gibt es diese Sehnsucht nach meinen Erfahrungen nicht.

Interview: Walter Jakobs